Flucht in die Hoffnung
Ausreise für Emira!
Ich erlitt einen Nervenzusammenbruch. Erst erzählten sie uns auf der
Botschaft, dass alles kein Problem sei, und dann klappte es doch nicht. Nichts
klappte, gar nichts. Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten.
»Lass es uns trotzdem probieren«, sagte Mohamed.
»Wie – trotzdem probieren?« Ich starrte ihn
an.
»Wir sind eine nette kleine Familie, die vom Urlaub in Tunesien
zurück nach Deutschland fliegen wird.«
»Okay«, sagte ich gedehnt. In diesem Moment abgrundtiefer
Verzweiflung hätte ich alles versucht, um Emira zu retten. Auch wenn ich selbst
schon mehrfach an diesem Spiel der netten kleinen Familie gescheitert war,
irgendwann musste es gelingen, und wenn, dann jetzt. Tunesien war frei, und das
sollte mein Kind auch sein.
Wir übernachteten in einem Hotel in Tunis und fuhren am nächsten
Morgen zum Flughafen. Wie ein Mantra wiederholten wir unsere Strategie: Wir
sind eine glückliche Familie. Wir haben Urlaub gemacht und wollen nun nach
Deutschland. Alles ist gut.
Alles war gut! Unsere Koffer wurden ohne Probleme eingecheckt. Ich
stand kurz vor einem Kollaps und lächelte und scherzte mit meinem Mann und
meinen Kindern. Der Urlaub ist vorüber, wir sind so normal, dass wir gar nicht
auffallen, eigentlich sind wir unsichtbar, so normal sind wir. Wie besprochen
übernahm Mohamed die Kommunikation. Wir passierten alle Kontrollen und standen
vor der letzten Schranke in die Freiheit. Mohamed reichte unsere Pässe einer
Frau. Meinen überprüfte sie zum Schluss. Das rote Licht leuchtete auf. Ich tat
so, als wäre ich mit Elias beschäftigt. Diskret winkte die Frau Mohamed näher
und fragte ihn leise, ob er eine Blockade für meinen Pass veranlasst habe.
Mohamed, dieser aufrichtige, schüchterne Mann, war mit der Situation völlig
überfordert. Jetzt wäre das Schauspieltalent von Emira gefragt gewesen, der ich
es zugetraut hätte, glaubwürdig die Vaterschaft ihrer selbst zu bezeugen. Doch
zuerst einmal schlug sich auch Mohamed tapfer.
»Ja«, sagte er geistesgegenwärtig, zögerte. »Aber es liegt wohl
schon einige Jahre zurück, das habe ich ganz vergessen.«
Die Frau lächelte mir freundlich zu, während sie Mohamed wissen
ließ, dass das Problem so diskret geregelt werden könnte, dass seine Frau, also
ich, nicht merkte, dass er vor einigen Jahren eine Blockade veranlasst habe.
»Das wäre mir sehr recht«, zeigte Mohamed sich weiterhin souverän.
Die Frau nahm sich den Pass erneut vor. Nun fiel ihr auf, dass
Emiras Nachname nicht mit dem von Mohamed übereinstimmte.
»Ist das denn Ihr Kind?«, fragte sie.
»Nein«, erwiderte Mohamed. Und dann ging alles schief, denn in dem
Bemühen, der Frau zu erklären, dass der Vater in Deutschland lebte, verhedderte
er sich in Widersprüche, und als er, nach der Nationalität des Vaters gefragt,
Türke sagte, hatten wir verloren, da Emiras Nachname nicht türkisch klingt.
Mir war heiß und kalt und übel.
Die Frau am Schalter wurde nervös und rief ihren Chef zu Hilfe, der
Fragen stellte und schließlich seinen Vorgesetzten hinzuzog. Wir wurden in ein
Büro gebeten. Eine große Uhr an der Wand zeigte mir deutlich, wie wenig Zeit
uns blieb, um unseren Flug zu erreichen. Unsere Pässe wurden uns weggenommen,
dann wiedergegeben, es wurde telefoniert und beratschlagt. Alle Papiere, die
ich vorlegte, waren korrekt. Ich hatte das Sorgerecht einschließlich
Ortsbestimmungsrecht für Emira. Aber ich hatte auch die Blockade, die die Behörden
warnte, dass ich eine Frau war, die das Kind eines tunesischen Mannes
verbotenerweise aus dem Land entführen wollte – obwohl das doch gar nicht
verboten war, da das Recht auf meiner Seite stand mit dem deutschen Pass und
dem Sorgerecht inklusive Ortsbestimmungsrecht für Emira. Und genau das ist es,
wofür ich das Land Tunesien bis heute anklage: dass es mir Emiras deutschen
Pass stahl und Farid erlaubte, mich zu blockieren, obwohl ich keine kriminelle
Handlung begangen hatte. Doch das war offensichtlich egal. Jeder Mann konnte in
Tunesien seine Frau denunzieren, sie sei kriminell, und ihren Pass blockieren
und somit verhindern, dass die Frau mit dem Kind das Land verließ.
»Tut uns leid«, sagte der dritte, noch höhere Chef schließlich, als
unser Flugzeug wahrscheinlich schon zum Einstieg bereit war. »Sie drei«, er deutete
auf Mohamed, Elias und mich, »können fliegen. Emira muss hierbleiben.«
Ich schluckte und versuchte, nicht in Verzweiflung zu stürzen. Ich
würde nicht aufgeben.
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