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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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gekommen. Immerhin haben Sie den Justizbeamten gewarnt, und so weiter.«
    »Das habe ich getan, um eine unangenehme Szene zu verhindern«, antwortete ich, »aber um ehrlich zu sein, ja, ich glaube, daß er dazu imstande wäre. Der Mann ist instabil und zutiefst von Depressionen beherrscht. Wenn er sein Tief erreicht, wird er unangenehm, und vermutlich hat er noch nie ein solches Tief wie gerade jetzt erlebt.«
    »Und er trägt Damenunterwäsche.« Ich mußte lachen. »Das obendrein.«
    »Darf ich nachschenken?«
    »Gern.«
    Sie stellte die Flasche zur Seite und hielt den Stiel ihres Glases mit den Fingern: eine etwas steife, aber attraktive ältere Frau, die sich nicht davor scheute, auch ein paar Falten zu zeigen, statt sie mit Schminke zuzukleistern.
    »Ein echter Verlierer, unser Mr. Richard Moody. Und vielleicht ein Killer.«
    »Wenn er in die entsprechende Stimmung kommt, ist die Frau natürlich das naheliegende Opfer. Und ihr Freund - Conley.«
    »Dennoch bin ich der Meinung«, erklärte sie und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, »daß man solche Dinge mit philosophischer Gelassenheit betrachten muß. Wenn er sie umbringt, dann in erster Linie deshalb, weil sie sich eben den falschen Typ fürs Bett ausgesucht hat. Hauptsache, er bringt keinen Unschuldigen um, wie zum Beispiel Sie oder mich.«
    Es war schwer zu beurteilen, ob sie es ernst meinte oder nicht.
    »Daran muß ich auch manchmal denken«, fuhr sie fort. »Daß irgend so ein verrückter Verlierer mich für seine Probleme verantwortlich macht.
    Die echten Verlierer sind nie bereit, selbst die Verantwortung für ihr jämmerliches, kleines Leben zu übernehmen. Haben Sie sich darüber schon mal Gedanken gemacht?«
    »Eigentlich nicht. Als ich noch in der Klinik arbeitete und meine Praxis hatte, waren die meisten Patienten nette Kinder aus netten Familien - da gab es kaum Potential für echte Katastrophen. Und in den vergangenen zwei Jahren lebte ich sehr zurückgezogen. Man könnte fast sagen, im Ruhestand.«
    »Ich weiß. Ich habe die Lücke in Ihrem Lebenslauf gesehen. Erst all die akademischen und klinischen Tätigkeiten, dann leerer Raum. War das schon vor der Sache mit der Casa de los Ninos oder erst danach?«
    Es wunderte mich nicht, daß sie es wußte. Der Fall lag zwar schon über ein Jahr zurück, aber damals hatte es riesige Schlagzeilen gegeben, und die Leute erinnerten sich heute noch daran. Ich selbst hatte dabei eine sehr persönliche Gedächtnishilfe mitbekommen: ein mühsam zusammengestückelter Kiefer, der nicht nur beim Wetterumschlag schmerzte.
    »Ein halbes Jahr davor. Und später war mir erst recht nicht mehr danach zumute, mich wieder auf meine frühere Tätigkeit zu werfen.«
    »Macht es denn keinen Spaß, den Helden zu spielen?«
    »Ich weiß nicht einmal, was das Wort bedeutet.«
    »Kann ich mir denken.« Sie schaute mich aufrichtig an und zupfte am Saum ihrer Robe. »Und nun arbeiten Sie als gerichtlicher Sachverständiger.«
    »In sehr begrenztem Umfang. Ich übernehme die Beratung von Anwälten, die ich kenne und denen ich traue, was den Arbeitsbereich stark einschränkt; den einen oder anderen Auftrag erhalte ich auch direkt von den jeweiligen Richtern.«
    »Von welchen?«
    »Von George Landre und Ralph Siegel.«
    »Das sind beides anständige Burschen. Ich habe mit George studiert. Brauchen Sie noch mehr Arbeit?«
    »Ich reiße mich nicht darum. Wenn ich irgendwo empfohlen werde, okay. Wenn nicht, finde ich immer genug zu tun.«
    »Sohn reicher Eltern, wie?«
    »Weit entfernt davon, aber ich habe mal ein paar gute Investitionen gemacht, die sich heute auszahlen. Wenn ich nicht plötzlich durchdrehe und den großen Mann spiele, komme ich gut über die Runden.«
    Sie lächelte.
    »Wenn Sie mehr Fälle haben wollen, werde ich es weitersagen. Die Leute auf den Listen der psychiatrischen Gutachter sind für Monate ausgebucht, und wir sind immer auf der Suche nach solchen, die geradeaus zu denken verstehen und ihre Weisheit in Worte kleiden, die so schlicht sind, daß sie auch ein einfacher Richter kapiert. Ihr Bericht war wirklich sehr aufschlußreich.«
    »Danke. Wenn Sie mir gelegentlich den einen oder anderen Fall schicken, werde ich ihn nicht ablehnen.«
    Sie trank das zweite Glas aus. »Sehr milde, wie? Kommt aus einem winzigen Weingut oben im Napa Valley. Das gibt es erst seit drei Jahren; es arbeitet noch mit Verlust, aber auf diese Weise entsteht eine begrenzte Zahl von sehr feinen Flaschen Rotwein.«
    Sie

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