Flüchtig!
Speichel und riß gleichzeitig das Knie nach oben, die klassische Bewegung des straßenerfahrenen Raufbolds. Es war genau die Art von Gambit, die ich ihm zugetraut hatte, und ich kam ihm zuvor, so daß er eben noch den Stoff meiner Hose berührte.
Der verfehlte Stoß brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er stolperte. Zutiefst betrübt packte ich ihn am Ellbogen und ließ ihn über meine Hüfte segeln. Er landete auf dem Rücken, blieb eine Viertelsekunde lang liegen und kam dann erneut auf mich zu, schlug dabei mit den Armen wild um sich wie ein verrückt gewordener Drescher. Ich wartete, bis er mich fast erreicht hatte, duckte mich und stieß ihm kräftig genug in den Bauch, daß ihm die Luft wegblieb. Dann wandte ich mich ab und beobachtete nicht einmal, wie er umkippte.
»Bitte, Richard, beruhigen Sie sich, sonst muß ich noch einmal hinlangen.«
Seine Antwort war ein Knurren, und gleich danach versuchte er, meine Beine zu fassen. Er erwischte das eine Fußgelenk, und ich befürchtete, im nächsten Moment ebenfalls zu Boden zu gehen. Das wäre jetzt der Zeitpunkt gewesen, um in den Wagen zu springen und davonzufahren, aber Moody war zwischen mir und der Tür auf der Fahrerseite.
Ich überlegte, ob ich hinüberlaufen sollte zur Beifahrertür, aber dann hätte ich ihm den Rücken zudrehen müssen, und er war kräftig und schnell.
Während ich überlegte, rappelte er sich auf und machte einen Satz in meine Richtung, wobei er einen zitternden, tierischen Schrei ausstieß.
Mein Mitleid mit ihm hatte mich leichtsinnig werden lassen, und es gelang ihm, einen Hieb gegen meine Schulter zu landen, der meinen ganzen Körper erzittern ließ. Noch ein wenig benommen, riß ich gerade noch rechtzeitig die Augen auf, um zu sehen, was danach kam: ein linker Haken, der auf mein ohnehin mühsam zusammengeflicktes Kinn zielte. Jetzt gewann mein Selbsterhaltungstrieb die Oberhand: ich hechtete zur Seite, packte zugleich seinen Arm und stieß ihn dann mit voller Kraft gegen den Wagen. Bevor er sich etwas Neues überlegen konnte, riß ich ihn hoch, drehte ihm den Arm um, hielt ihn auf dem Rücken fest und zerrte ihn so weit nach oben, daß er beinahe aus dem Gelenk schnappte. Es mußte ungeheuer schmerzhaft sein, doch bei ihm war nichts davon zu bemerken. Manische reagierten nicht selten so, waren auf einem fortwährenden Trip, als ob sie Speed genommen hätten, unfähig, sich um kleinere Störungen und Schmerzen kümmern zu können.
Jetzt gab ich ihm einen Tritt in den Hintern, so fest ich konnte, und er segelte ein paar Meter weit über den Parkplatz. Ich hatte auch schon die Schlüssel in der Hand, saß gleich danach im Seville und brauste davon.
Bevor ich auf die Straße hinausfuhr, sah ich ihn kurz im Rückspiegel. Er saß auf dem Asphalt, den Kopf in die Hände gestützt, schaukelte hin und her und weinte - soweit ich das erkennen konnte.
2
Der große, schwarzgoldene Koi kam als erster an die Oberfläche, aber die anderen Fische folgten seinem Beispiel, und innerhalb von Sekunden steckten alle vierzehn ihre mit Barteln versehenen Mäuler aus dem Wasser und verschlangen die Futterkörner so schnell, wie ich sie ihnen zuwarf. Ich kniete neben einem großen, glatten Felsblock, der von niedrigem Wacholder und lavendelfarbenen Azaleen eingerahmt wurde, und hielt jetzt mit den Fingern drei Futterkörner ein wenig unter die Wasseroberfläche. Der größte von den Fischen witterte den Geruch, zögerte aber noch; dann gewann die Gier die Oberhand, und sein glänzender, muskulöser Körper glitt auf meine Finger zu. Er hielt Zentimeter vor meiner Hand inne und schaute zu mir herauf. Ich versuchte, den Blick einigermaßen vertrauenswürdig zu erwidern.
Die Sonne stand dicht über dem Horizont, aber das Licht auf den Hügeln reichte noch aus, um die metallisch-glatten, goldenen Schuppen zum Erglühen zu bringen, was den Kontrast zu den samtschwarzen Flecken an seinem Rücken dramatisch verstärkte. Wirklich, ein besonders schönes Exemplar von kin-ki-utsuri.
Plötzlich gab sich der große Karpfenfisch einen Ruck, und die Futterkörner zwischen meinen Fingern waren verschwunden. Ich nahm neue aus dem Karton. Ein rotweißer kohaku kam heran, dann ein platinglänzender ohgon, der wie Mondlicht schimmerte. Und bald knabberten alle Fische an meinen Fingern - die Berührungen ihrer Mäuler waren so zart wie Babyküsse.
Den Teich und den ihn umgebenden Garten hatte mir Robin geschenkt, in den Monaten meiner schmerzhaften Rekonvaleszens
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