Herzen aus Stein (German Edition)
Kapitel 1 – Schottland
W
ie eine riesige Fledermaus hing Vincent kopfüber an der Mauer der Abtei. Die Krallen tief in den grauen Stein getrieben und seine Schwingen an den Körper gepresst, starrte er durch das Fenster. Dort drin, in dem schmalen Bett, lag Noir. Vince erkannte ein langes, schlankes Bein, das unter der Decke hervorschaute. Stundenlang könnte er es betrachten. Er seufzte leise. Zu seinem Glück war es stockdunkel. Niemand konnte ihn sehen; doch der Wind schob die Wolken unerbittlich weiter. Bald würde der Mond die Klosteranlage erhellen.
Noir bewegte sich, wurde unruhiger. Sie erwachte .
Sein Puls beschleunigte sich. Mit einem Satz stieß er sich von der Wand ab und segelte, die Schwingen ausgebreitet, zum Laubbaum, der sich gegenüber des Zimmerfensters befand. Er schlug seine N ä gel in den Stamm, um flink wie ein Eichhörnchen in die Krone zu klettern. Dort verharrte er reglos. Er wusste, was gleich geschehen würde, worauf sein Herzschlag noch einmal an Tempo zulegte. Schon öffnete sich das Fenster und Vince stockte der Atem. Denn als Noir den Kopf herausstreckte, entstand in der Wolkendecke eine Lücke. Mondlicht ergoss sich auf ihr langes Haar und ließ es wie Silber glänzen. Ihr elfengleiches Gesicht zeigte keine Regung. Noirs Blick huschte über den Garten der Abtei, wobei ihre dunklen Augen wie Onyxe wirkten. Für Momente wie diesen lebte Vince. Leider zog sie sich viel zu schnell zurück.
Ein winziges Stück schob er den Kopf vor, um sich nicht zu verr a ten, und blinzelte gegen das Mondlicht, das durch die Blätter der mächtigen Eiche drang, bis er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Von seinem Unterschlupf aus besaß er einen hervorragenden Blick in das Zimmer des alten Klosters. Silver Abbey war im 12. Jahrhu n dert nahe der Hafenstadt Aberdeen errichtet worden. Der graue Granit, der aus den umliegenden Steinbrüchen stammte, war chara k teristisch für die schottische Stadt mit den Bauten, die teilweise aus dem Mittelalter stammten. Wenn Sonne oder Mondlicht auf die G e bäude trafen, glitzerte der Glimmeranteil im Stein wie Noirs weißes Haar.
Sie versteckte sich schon viele Wochen in dem Kloster, das von außen alt wirkte, von innen jedoch modernisiert und den Gepfl o genheiten des 21. Jahrhunderts angepasst war. Ohne Interneta n schluss wollten wohl auch die Mönche von Silver Abbey nicht mehr sein. Dennoch war Noirs Zimmer karg ausgestattet, denn ein Kloster blieb ein Kloster, egal in welchem Jahrhundert. Es war ein perfekter Unterschlupf für eine Hexe; niemand würde sie in einer kirchlichen Einrichtung vermuten und kein Dämon betrat solch einen Ort fre i willig.
Die Turmuhr schlug zehn Uhr nachts. Das Licht im Raum flam m te auf und Vincent kniff abermals die Lider zusammen. Er vernahm das vertraute Summen, als Noir ihr Notebook anschaltete, etwas später die Toilettenspülung, dann das Schaben von Stuhlbeinen, als sich Noir an den Tisch setzte. Vincent bewegte sich nicht; die Nacht bot ihm zusätzlichen Schutz. Er war daran gewöhnt, unentdeckt zu bleiben, denn er war Noirs heimlicher Beschützer. Fast jede Nacht ging die Hexe auf Dämonenjagd, und jedes Mal folgte ihr Vincent wie ein Schatten.
Er seufzte erneut. Warum tat sich Noir das immer noch an? Viel lieber würde er mit ihr im Mondschein einen Spaziergang machen, als ständig hinter ihr herzuhetzen. Das Fenster rahmte ihre große, schmale Gestalt ein. Vincent sah Noir von hinten am Tisch sitzen, vor ihr das Netbook, auf dessen Tastatur sie herumtippte. Wenn er stillhielt, würde sie ihn nicht bemerken, auch wenn er nur vier Meter von ihr entfernt auf einem Ast hockte.
Tagsüber versteckte Noir ihr Haar unter der Kapuze eines Habits, wie ihn die Mönche im Kloster trugen. Jetzt floss es offen, aber ein wenig wirr, über ihre Schultern. In ihrer Schlafkleidung gefiel ihm Noir am besten. Dann hatte sie nicht das weite Gewand an, das ihre wunderschöne Figur kaschierte, sondern ein Shirt. Das verdeckte nicht einmal ihr Gesäß, über das sich ein knapper Slip spannte.
Diese Kurven … Vincent schluckte. Seine Krallen bohrten sich tief ins Holz des dicken Astes, an dem er sich festhielt. Da der Stuhl eine Lehne besaß, die am Rücken offen war, lugten Noirs schmale Taille und darunter ihre strammen Pobacken hervor, die unruhig auf dem Stuhl hin und her rutschten . Wie würden sich ihre Rundungen in seinen Händen anfühlen? Wie würde Noirs Haar sein? Eher stö r risch wie seines oder zart wie
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