Flußfahrt
hätte, wenn ich ihr die Wahrheit hätte erzählen können. Wäre es leichter für sie gewesen, wenn ich ihr hätte sagen können, daß Drew im Wildwasser des Cahulawassee lag und sein Kopf entweder von einer Kugel oder von einem Felsen eingedrückt war, daß er mit Hilfe eines großen Steins und einer Bogensehne versenkt worden war und sich im Wasser der Strömung leicht hin und her bewegte? Ich wußte nicht, was das ihr helfen sollte. Es hätte höchstens animalische Rachegefühle in ihr geweckt, zu wissen, daß man ihn erschossen hatte, und außerdem konnte sowieso nichts mehr getan werden, was nicht schon getan worden war – kein elektrischer Stuhl, kein Strick und keine Gaskammer hätten ihn besser rächen können.
Als ich wieder zu Hause war, stellte ich einen Sessel vor das Panoramafenster, holte mir eine Decke und ein Kissen und saß da und blickte hinaus auf die Straße und hatte den ganzen Nachmittag das Telefon neben mir. Ich fror innerlich. Martha saß auf dem Boden und hatte den Kopf in meinen Schoß gelegt, sie hielt meine Hand, und dann ging sie und holte eine Flasche Whiskey und zwei Gläser.
»Liebling«, sagte sie. »Sag mir, was du hast. Ist jemand hinter dir her?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich glaube nicht. Aber ich bin nicht sicher. Irgendeiner könnte schon hinter mir her sein. Auch das Gesetz könnte hinter mir her sein. Ich muß es einfach durchstehen. Wenn in den nächsten Wochen nichts passiert, haben wir es, glaube ich, überstanden.«
»Kannst du es mir nicht erzählen?«
»Nein, jetzt nicht. Vielleicht kann ich es dir nie erzählen.«
»Wer hat dir die Wunde zugefügt, Ed? Wer hat meinen Liebling verletzt?«
»Ich sage dir doch, ich habe es getan«, sagte ich. »Ich bin in einen von meinen Pfeilen gefallen, und ich mußte ihn mit dem Messer wieder rausschneiden. Es gab keine andere Möglichkeit; ich konnte ja schließlich nicht mit dem Pfeil in meinem Leib den Fluß hinunterfahren. Und da hab ich ihn eben herausgeschnitten. Ich bin froh, daß das Messer so scharf war, denn sonst wäre ich womöglich jetzt noch da und würde an mir herumsäbeln.«
»Geh schlafen, Schatz. Wenn irgend etwas ist, sag ich Bescheid. Ich bin ja bei dir. Keine Wälder, kein Fluß mehr. Leg dich jetzt schlafen.«
Aber das konnte ich nicht. Unsere Straße ist eine Sackgasse, und jeder Wagen, der hier hereinfährt, gehört entweder den Leuten, die hier wohnen, oder hat irgend etwas mit ihnen zu tun. Ich beobachtete die wenigen Wagen, die die Straße entlanggefahren kamen und in die Einfahrten einbogen. Gegen zehn Uhr hielt ein Wagen vor unserem Haus. Die Scheinwerfer schwenkten langsam herum, und ihr Licht blendete uns. Und Martha verschloß mir mit ihrer warmen Hand den Mund, während ich wie blind dasaß. Unsere Einfahrt war die letzte, und der Wagen wendete hier nur. Er fuhr wieder fort, und schließlich dämmerte ich ein.
Als ich aufwachte, war Martha immer noch bei mir. Es war schon hell. Ihre zarten Nackenhaare rührten mich. Sie schlief, und vorsichtig stand ich auf und bettete ihren Kopf auf den Stuhl, nahm ein Glas und den Whiskey und ging ins Badezimmer. Ich drehte mich um, und Martha stand hinter mir. Sie küßte mich und setzte sich dann auf den WC-Deckel und zog mit geübtem Krankenschwesterngriff das Verbandspflaster von meiner Wunde.
»Schon viel besser«, sagte sie. »Es wird gut verheilen. Mein Gott, du bist ganz schön robust.«
»So robust fühle ich mich gar nicht, das kann ich dir sagen. Ich bin immer noch müde.«
»Gut, ruh dich nur aus.«
»Nein«, sagte ich. »Ich gehe ins Büro.«
»Das wirst du schön bleiben lassen; das ist das Dümmste, was ich je gehört habe. Du gehörst ins Bett.«
»Nein, ich will wirklich ins Büro. Aus verschiedenen Gründen. Ich will und ich muß.«
»Okay, du Querkopf. Dann geh doch, und bring dich um.«
»Unkraut vergeht nicht«, sagte ich. »Aber wenn ich mir nicht irgendwie Arbeit mache, werde ich noch verrückt. Ich kann einfach dieses ständige Horchen auf Autos nicht aushaken.«
Sie legte ein neues Pflaster auf, und ich fuhr ins Büro. Die Hauptsache war jetzt, so schnell wie möglich wieder in mein altes Leben zurückzufinden; ich wollte mich ordentlich in die Arbeit wühlen. So, als sei nie etwas gewesen. Ich ging in mein Arbeitszimmer und ließ die Tür weit offen, damit jeder, der wollte, sehen konnte, wie ich hier in Papieren und Layouts herumwirtschaftete. Gegen Mittag ging ich auf die Straße und kaufte eine Zeitung. Es
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