Flut
Rücken auf seiner Brust lag und sanft zuckte, nachdem sie gekommen war. Sie sahen sich oft gemeinsam im Spiegel an. Ihre Körper waren so schön, dass es fast schmerzte. Sie sagte, der menschliche Körper sei glücklich. Das ergab zwar keinen richtigen Sinn, aber so hatte sie es gesagt, als wäre glücklich ein Synonym für schön oder so ähnlich. Er widersprach ihr nicht. Wenn es um Worte ging, hatte sie immer recht, immer. Er las keine Bücher, und sie ging nicht mit zu seinen Wettkämpfen, aber das schien kein Problem zu sein. Noch ein paar Minuten, dann ist ihr Gesicht weg. Und übrig bleibt nur ein verschwommener Fleck. Es spielt keine Rolle, wie sehr er jemanden mag, es ist immer das Gleiche. Aber nicht, solange sie in seiner Wohnung ist. Jetzt ist sie noch da. Eins, zwei, drei, los.
Erzähl von dir. Wie ist das Leben in São Paulo?
Mir geht es super. Echt. Wir haben uns eine total hübsche Wohnung in Pinheiros gekauft. Eine von diesen Altbauwohnungen mit hohen Decken, da gibt es extra Wartelisten für. Ich bin zu den ganzen kleinen Maklerbüros im Viertel gerannt, wo so Opis arbeiten, die noch alles per Fax machen, und hab ihnen erzählt, was für eine Wohnung ich suche und dass sie mich anrufen sollen, wenn sie etwas für mich hätten. Die ehemalige Besitzerin bekam einen Schlaganfall und musste zu einem ihrer Söhne ziehen, und die Wohnung stand zum Verkauf. Der Makler rief mich noch am selben Tag an. Ein paar Tage später wäre sie weg gewesen. Das war echt Glück. Eine Zeit lang hab ich als Freie gearbeitet und Kontakte gemacht, bis ich Anfang des Jahres den Job bei dem Kinderbuchverlag bekommen hab, was wirklich toll ist. Ich hab mit den Autoren zu tun, den Übersetzern und diesen unglaublichen Illustratoren. Im Juli war ich bei der Flip. Schon mal gehört? Das ist so eine Art Buchmesse, in Paraty. Für die Kinderbücher findet gleichzeitig die MiniFlip statt. Ich hatte tierisch viel zu tun, aber es hat großen Spaß gemacht. Dante ist mitgekommen, vielleicht wird er nächstes Jahr eingeladen, falls er bis Ende des Jahres sein Buch fertig hat. Noll war da, ein Autor, den ich sehr mag. Und wir haben uns stundenlang mit Verissimo unterhalten. Der hörte gar nicht mehr auf zu reden. Ich dachte immer, er sei so schüchtern, dass er keinen Ton rausbringt.
Verissimo ist der mit dem Schlangencartoon, oder?
Genau. Außerdem schreibe ich eine wöchentliche Kolumne über Bücher und die Verlagswelt für die Website einer Zeitung. Ab und zu bitten sie mich auch um eine Rezension. Das kulturelle Leben in São Paulo ist schon beeindruckend. Porto Alegre ist in der Hinsicht zwar auch ganz nett, aber São Paulo ist einfach überwältigend. Fast ein bisschen beängstigend. Man hat den Eindruck, als würde die Stadt einen nicht zur Ruhe kommen lassen, selbst wenn man sich mal bewusst zurückziehen will. Du zum Beispiel würdest dich dort wahrscheinlich langfristig nicht wohlfühlen. Auf introvertierte Menschen muss die Atmosphäre ziemlich aggressiv wirken. Es gibt ein so verwirrend großes Angebot an wunderbaren Dingen, die man die ganze Zeit machen, sehen und essenkönnte. Dieser ganze Kosmos aus interessanten Menschen, Macht und Geld stachelt die Leute total an, man fühlt sich regelrecht schuldig, wenn man mal mit abgeschaltetem Handy zu Hause bleibt und Harry Potter liest oder ein paar Schokobällchen isst und dabei über das Leben nachdenkt, weißt du? Hat zwar jetzt nichts damit zu tun, aber hast du gesehen, dass Obama gewonnen hat?
Wer?
Obama. Er hat die Wahl gewonnen. Kam gestern Abend im Fernsehen, als ich gerade im Restaurant saß. Der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten. Yes we can . Ich wollte seine Rede mit dem iPhone runterladen, aber ich hatte keinen Empfang. Übrigens, ich hab mir ein iPhone gekauft. Guck. Schon mal gesehen? Das Handy von Apple. Hat mir ein Freund mitgebracht.
Wovon redest du, Viv?
Du weißt doch, wer Obama ist, oder? Ich bitte dich.
Klar weiß ich das. Ein Freund von Wittgenstein.
Der alte Insiderwitz. Sie muss lächeln. Kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten, als Viviane noch Journalismus studierte und nebenher Philosophieseminare besuchte, versuchte sie, ihn mit ihrer Begeisterung für den Tractatus logico-philosophicus anzustecken. Es endete im Streit. Seitdem kam der Name des Philosophen immer dann auf, wenn sie mit Themen um sich warf, von denen er mangels Bildung keine Ahnung hatte oder über die er nicht auf dem Laufenden war. Es war Teil des Rituals,
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