For the Win - Roman
Reissäcken, die am Hafen in einer endlosen Prozession befüllt wurden. Die Schiffe fuhren nach Amerika und Europa, beladen mit in Indien gefertigten Gütern, und kamen voll mit Müll wieder zurück – Plastik, das die Arbeiter in Dharavi sortierten, wuschen, einschmolzen und zu Pellets gossen, die dann in die Fabriken gebracht wurden, nur damit sie abermals in Güter verwandelt und zurück nach Amerika und Europa verschifft werden konnten.
Als sie das erste Mal nach Dharavi gekommen waren, hatte die Umgebung Mala große Angst gemacht: die engen Unterkünfte, die allerorten den Himmel verdunkelten, dazwischen die schmutzigen Wege, die bläulich und rötlich schimmernden Abwässer aus den Färbereien, der allgegenwärtige Gestank brennenden Plastiks, das Röhren rücksichtsloser Motorräder zwischen den Gebäuden. Und die Augen, Augen in jedem Fenster, auf jedem Dach, die sie beobachteten, während Mamaji sie und ihren kleinen Bruder zu Mr. Kunals Fabrik führte, wo sie von nun an leben sollten.
Nach kaum einem Jahr nahm sie den Geruch nicht mehr wahr. Die Augen in den Fenstern waren freundlicher geworden. Sie kannte alle Gassen und verlief sich nicht mehr auf dem Weg zum Markt oder zum Nachmittagsunterricht, der in einem kleinen Klassenzimmer über einem Restaurant abgehalten wurde. Die Sortierarbeit war langweilig, aber nie allzu anstrengend, und es gab immer genug zu essen und andere Mädchen, mit denen sie spielen konnte. Außerdem hatte Mamaji ein paar Freunde gefunden, die ihnen halfen. Nach und nach war Mala ein Dharavimädchen geworden, und heute war sie es, die Neuankömmlinge mit einer Mischung aus Hilfsbereitschaft und Mitleid betrachtete.
Und die Arbeit – nun ja, die Arbeit war gerade in letzter Zeit sehr viel besser geworden.
Es fing alles an, als sie mit Yasmin im Spielecafé war. Sie hatten sich nach der Schule noch eine Stunde davongestohlen, um ein paar Rupien auszugeben, die Mala sich zurückgelegt hatte (fast alles, was sie verdiente, ging natürlich an die Familie, aber manchmal ließ Mamaji ihr ein wenig, damit sie sich im Laden an der Ecke ein paar Süßigkeiten kaufen konnte). Yasmin hatte noch nie Zombie Mecha gespielt, aber natürlich hatten sie beide die Filme gesehen, denn es gab ein kleines Kino an der Straße zwischen dem Moslem- und dem Hinduviertel von Dharavi. Mala liebte Zombie Mecha heiß und innig, und sie war auch ziemlich gut. Sie bevorzugte die PvP -Server, auf denen die Spieler einander jagen und versuchen konnten, die von ihnen gesteuerten Kampfroboter wechselseitig umzuwerfen, denn dann konnten die Zombies ausschwärmen, sich über die Riesenmechs hermachen, die Cockpitkanzeln aufbrechen und ihr Festmahl verspeisen.
Die meisten Mädchen kamen ins Café, um Spiele mit süßen Tieren oderkleinen Herzchen zu spielen. Doch für Mala lag das wahre Vergnügen im herrlichen Gemetzel der Multiplayer-Kriegsspiele. Es brauchte nur ein paar Minuten, Yasmin die Grundzüge der Steuerung ihres kleinen Mech-Schwadrons beizubringen. Dann konnten sie sich über Taktik unterhalten.
Das nämlich war es, was keiner der anderen Spieler zu kapieren schien: Taktik war das Ein und Alles. Die anderen spielten das Spiel, als ob es ein willkürliches Durcheinander kreischender Raketen und Explosionen wäre, ein Chaos, in das man mit der Hoffnung hineinstolperte, es schon irgendwie zu überleben.
Doch Mala ließ sich von diesem Chaos weder täuschen noch verwirren. Für sie waren die Explosionen und das Kamerawackeln und das Kreischen der Zombies nur kleine Details im großen Bild der Armeen auf dem Schlachtfeld in ihrem Kopf. Dort erst gewannen die Streitkräfte Farbe und Substanz, die ihre Stärken und Schwächen offenbarten und zeigten, wie sie miteinander in Verbindung standen und welche Folgen eine Niederlage auf der einen Seite für die andere Seite haben würde. Natürlich konnte man seinen Feinden auch einfach von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten, Raketen gegen Raketen, Gewehre gegen Gewehre, und der Glücklichere (vielleicht auch derjenige mit der meisten Munition oder den besseren Schilden) würde gewinnen.
Wenn man aber schlau war, brauchte man weder Glück noch eine bessere Ausrüstung als die anderen. Mala zum Beispiel schoss ihre Raketen und Granaten gerne über die Köpfe der angreifenden Armee hinweg und schuf so ganze Schluchten aus Trümmern und Abfall, die dem Gegner den Rückzug erschwerten. Gleichzeitig trieben ihre Harrier im Umland Horden von Zombies zusammen, bis
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