Fortunas Tochter
Vorwürfe, er aß jeden Brei, der ihm vorgesetzt wurde, und sagte nichts, wenn seine Hemden schlecht gebügelt und seine Anzüge nicht abgebürstet waren. Er hatte irgendwo gelesen, daß unverheiratete Frauen unter gefährlichen Störungen litten. In England hatten sie ein wunderbares Heilverfahren gegen die Hysterie entwickelt, das darin bestand, mit rotglühenden Eisen gewisse Punkte auszubrennen, aber diese Errungenschaft war nicht bis Chile gelangt, hier verwandte man noch Weihwasser für solche Leiden.
Jedenfalls war es besser, dieses heikle Thema Rose gegenüber nicht anzuschneiden. Er wußte nicht, wie er sie trösten sollte, zu eingefleischt war die Gewohnheit der Diskretion und des Schweigens zwischen ihnen. Er versuchte ihr mit Geschenken eine Freude zu machen, die er als Schmuggelgut auf den Schiffen kaufte, aber da er nichts von Frauen verstand, kam er mit gräßlichen Dingen an, die bald in der Tiefe der Schränke verschwanden.
Er ahnte nicht, wie oft seine Schwester herankam, wenn er rauchend in seinem Sessel saß, und wie sie drauf und dran war, zu seinen Füßen zusammenzusinken, den Kopf auf seine Knie zu stützen und zu weinen, unaufhörlich zu weinen, aber jedesmal schreckte sie im letzten Augenblick zurück, denn zwischen ihnen klang jedes Wort der Zuneigung wie Ironie oder unverzeihliche Gefühlsduselei. Starr und traurig erhielt Rose aus reiner Disziplin den Schein aufrecht und hatte das Gefühl, daß nur noch das Korsett sie stützte und daß sie, wenn sie es ablegte, in Stücke zerfallen würde. Nichts war geblieben von ihrer Fröhlichkeit und ihren kecken Streichen, nichts von ihren kühnen Ansichten, ihren kleinen Rebellionen oder ihrer dreisten Neugier. Sie war das geworden, was sie am meisten zu sein fürchtete: eine ausrangierte alte Jungfer.
»Das sind die Wechseljahre, in der Zeit kommen die Frauen aus dem Gleichgewicht«, befand der deutsche Apotheker und verordnete ihr Baldrian für die Nerven und Lebertran gegen die Bleichsucht.
Kapitän John Sommers versammelte seine Geschwister in der Bibliothek, um ihnen die Neuigkeit mitzuteilen.
»Erinnert ihr euch an Jacob Todd?«
»Den Burschen, der uns mit seiner Mission auf Feuer– land blauen Dunst vorgemacht hat?« fragte Jeremy.
»Genau der.«
»Er war in Rose verliebt, wenn ich mich recht erinnere«, sagte Jeremy lächelnd und dachte, daß er wenigstens davor bewahrt worden war, diesen Aufschneider als Schwager zu begrüßen.
»Er hat einen anderen Namen angenommen. Jetzt nennt er sich Jacob Freemont und schreibt für eine Zeitung in San Francisco.«
»Unglaublich! Es stimmt also, daß in den Vereinigten Staaten jeder Gauner neu anfangen kann.«
»Jacob hat für seinen Fehler gründlich bezahlt. Ich finde es großartig, daß es ein Land gibt, das eine zweite Chance bietet.«
»Und die Ehre zählt gar nicht?«
»Die Ehre ist nicht alles, Jeremy.«
»Gibt es sonst noch etwas?«
»Was kümmert uns Jacob Todd? Ich nehme an, du hast uns nicht hier zusammengerufen, um uns von ihm zu erzählen, John«, stammelte Rose hinter ihrem vanille– getränkten Taschentuch.
»Ich habe mit Jacob Todd, besser gesagt, Freemont gesprochen, bevor ich an Bord ging. Er hat mir versichert, daß er Eliza in San Francisco gesehen hat.«
Miss Rose glaubte, zum erstenmal in ihrem Leben ohnmächtig zu werden. Ihr Herz raste, der Puls schien zerspringen zu wollen, eine Blutwelle schoß ihr ins Gesicht. Sie konnte nicht ein Wort sprechen, sie erstickte fast.
»Diesem Mann kann man nichts glauben! Du hast uns erzählt, eine Frau habe geschworen, sie hätte Eliza im Jahr 49 an Bord eines Schiffes kennengelernt und hätte keinen Zweifel, daß sie tot ist«, protestierte Jeremy und marschierte mit großen Schritten durch die Bibliothek.
»Gewiß, aber das war eine Hure, und sie hatte die Türkisbrosche an, die ich Eliza geschenkt habe. Sie kann sie ihr gestohlen haben und hat nun geschwindelt, um sich zu schützen. Was für einen Grund sollte Jacob Freemont haben, mich anzulügen?«
»Keinen, nur daß er von Natur ein Schwindler ist.«
»Hört auf, bitte!« flehte Rose mit einer gewaltigen Anstrengung, ihre Stimme zu festigen. »Das einzig Wichtige ist doch, daß jemand Eliza gesehen hat, daß sie nicht tot ist, daß wir sie finden können!«
»Mach dir keine Illusionen, liebes Kind. Siehst du nicht, daß dies ein phantastisches Märchen ist? Es wäre ein schrecklicher Schlag für dich, wenn du daran glaubtest und dann feststellen müßtest, es ist
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