Fortunas Tochter
Pasteten– bäckerei überflügelt und Mama Fresias gesamtes Reper– toire gelernt, mit fünfzehn war sie verantwortlich für den Festschmaus an den Mittwochgesellschaften, und als die chilenischen Gerichte keine Herausforderung mehr für sie waren, interessierte sie sich für die verfeinerte fran– zösische Küche, die Madame Colbert sie lehrte, und für die exotischen Gewürze, die ihr Onkel John mitzubringen pflegte und die sie am Geruch erkannte, auch wenn sie nicht wußte, wie sie hießen. Wenn der Kutscher Freunden der Sommers eine Nachricht zu bringen hatte, überreichte er zusammen mit dem Briefchen einen gerade erst aus Elizas Händen hervorgegangenen Leckerbissen, sie hatte den lokalen Brauch, Gerichte und Desserts auszutauschen, zur Kunst erhoben. So groß war ihre Hingabe an die Bäckerei, daß Jeremy Sommers sie sich schon als Herrin ihres eigenen Cafés vorstellte, ein Plan, den Miss Rose genau wie alle anderen Vorschläge ihres Bruders zu Elizas Zukunft verwarf, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Eine Frau, die sich ihren Lebensunterhalt selbst verdient, sagte sie, steigt auf der gesellschaftlichen Leiter ab, so achtbar ihr Beruf auch sein mag. Sie dagegen wollte einen guten Ehemann für ihren Schützling und hatte sich zwei Jahre Frist vorgegeben, um in Chile einen zu finden, danach würde sie Eliza nach England mitnehmen, sie konnte nicht riskieren, daß sie ohne Bräutigam zwanzig würde und ledig bliebe. Der Kandidat mußte ein Mann sein, der ihre dunkle Herkunft vergessen und sich für ihre Vorzüge begeistern konnte. An einen Chilenen war gar nicht erst zu denken, da heiratete die Aristokratie unter sich, und die Mittelklasse interessierte Miss Rose nicht, sie wollte Eliza nicht in Geldnöten sehen. Von Zeit zu Zeit lernte sie Handelsherren oder Minenbesitzer kennen, die mit ihrem Bruder Jeremy Geschäfte machten, aber die waren nur hinter den Nachnamen und Wappen der Oligarchie her. Es war unwahrscheinlich, daß einer von ihnen auf Eliza aufmerksam würde, denn an ihrem Äußeren war nur wenig, was Leidenschaften entzünden konnte: sie war klein und zart, die milchige Blässe und die Üppigkeit von Busen und Hüften, die so in Mode waren, gingen ihr völlig ab. Erst auf den zweiten Blick entdeckte man ihre unaufdringliche Schönheit, die Anmut ihrer Bewegungen und den ausdrucksvollen Blick ihrer schwarzen Augen. Miss Rose suchte einen Heirats– kandidaten, der den klaren Verstand ihrer Adoptivtochter ebenso zu würdigen wußte wie ihren festen Charakter und ihre Geschicklichkeit, Situationen zu ihren Gunsten umzukehren, das, was Mama Fresia Glück nannte und was sie lieber als Intelligenz bezeichnete; einen Mann mit gutem Charakter und wirtschaftlich wohlsituiert, der Eliza Sicherheit und Achtung bieten würde, den sie aber mit Leichtigkeit lenken konnte. Miss Rose gedachte sie zu gegebener Zeit in der subtilen Wissenschaft der täglichen Aufmerksamkeiten zu unterweisen, die im Mann die Gewöhnung an das häusliche Leben nähren; in dem System kühner Liebkosungen, um ihn zu belohnen, und kalten Schweigens, um ihn zu bestrafen; in dem Geheimnis, wie man einem Mann den Willen raubt, das anzuwenden sie selbst keine Gelegenheit hatte; und endlich auch in der uralten Kunst der körperlichen Liebe. Niemals hätte sie gewagt, darüber mit ihr zu sprechen, aber sie verließ sich auf mehrere Bücher, die unter doppeltem Verschluß in ihrem Schrank ruhten und die sie ihr leihen würde, wenn der Augenblick gekommen war. Geschrieben konnte man alles sagen, lautete ihre Theorie, und in puncto Theorie war sie jedem über.
Sie hätte über alle möglichen und unmöglichen Formen des Liebemachens Vorlesungen halten können.
»Du mußt Eliza legal adoptieren, damit sie unseren Namen trägt«, forderte sie Jeremy auf.
»Sie hat ihn jahrelang benutzt, was willst du denn noch, Rose.«
»Ich will, daß sie den Kopf hoch tragen kann, wenn sie heiratet.«
»Heiratet, wen?«
Miss Rose sagte es ihm diesmal noch nicht, aber sie hatte schon jemanden im Sinn. Das war Michael Steward, achtundzwanzig Jahre, Offizier des englischen Flottengeschwaders, das im Hafen von Valparaíso stationiert war. Sie hatte durch ihren Bruder John erfahren, daß der Seeoffizier aus einer angesehenen alten Familie stammte.
Sie würden es nicht gern sehen, wenn ihr ältester Sohn und Haupterbe mit einer Unbekannten ohne Vermögen verlobt wäre, die aus einem Land stammte, dessen Namen sie stets für den eines
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