Fortunas Tochter
tun Sie? Sehen Sie nicht, daß ich viele Jahre älter bin als Sie?« rief sie aus und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
»Wen kümmert das Alter?« stotterte er verdutzt, denn er hatte Miss Rose eigentlich für nicht älter als sieben– undzwanzig gehalten.
»Wie können Sie es wagen! Haben Sie den Verstand verloren?«
»Aber Sie… Sie haben mir zu verstehen gegeben… Ich kann mich doch nicht so geirrt haben!« murmelte er ratlos und vor Scham wie betäubt.
»Ich wollte Sie für Eliza, nicht für mich!« schrie sie ihn entsetzt an und rannte davon, um sich in ihrem Zimmer einzuschließen, während der unglückliche Bewerber sich Cape und Mütze geben ließ und ging, ohne sich von irgend jemandem zu verabschieden, ging, um dieses Haus nie wieder zu betreten.
Von einer Nische im Flur hatte Eliza durch die halboffene Tür des Nähstübchens alles mit angehört. Auch sie hatte sich über all die dem jungen Offizier erwiesenen Aufmerksamkeiten gewundert. Miss Rose hatte immer so viel Gleichgültigkeit gegenüber ihren Bewerbern gezeigt, daß Eliza sich angewöhnt hatte, sie als ältere Frau zu betrachten, die das alles nichts mehr anging. Erst in den letzten Monaten, als ihre Adoptivmutter sich mit Leib und Seele den Verführungsspielchen widmete, hatte sie ihren prachtvollen Wuchs und die strahlende Haut wahr– genommen. Sie hatte geglaubt, Miss Rose sei unsterblich verliebt in Michael Steward, und ihr war überhaupt nicht in den Sinn gekommen, daß die bukolischen Picknicks unter japanischen Sonnenschirmen und die Butterkekse zur Linderung der Unannehmlichkeiten auf hoher See nur Strategie gewesen waren, um den Offizier für sie, Eliza, einzufangen und ihr auf dem Tablett zu überreichen. Die Enthüllung traf sie wie ein Faustschlag in die Brust und benahm ihr den Atem, denn das letzte, was sie sich auf dieser Welt wünschte, war eine hinter ihrem Rücken abgesprochene Heirat. Eliza war vom Wirbelwind der ersten Liebe erfaßt worden und hatte mit unwiderruflicher Bestimmtheit geschworen, daß sie keinen anderen heiraten würde.
Eliza Sommers sah Joaquín Andieta zum erstenmal an einem kalten Maitag des Jahres 1848, als er mit einem von mehreren Maultieren gezogenen und hoch mit Kisten und Warenballen für die British Trading Company beladenen Karren ins Haus Sommers kam. Die Frachtstücke enthielten persische Teppiche, Kristallüster und eine Sammlung Elfenbeinfiguren, ein Auftrag von Feliciano Rodríguez de Santa Cruz, um das Haus damit zu schmücken, das er sich im Norden gebaut hatte; es war eine jener wertvollen Ladungen, die im Hafen gefährdet waren, und es wurde für sicherer erachtet, sie im Haus der Sommers zu lagern bis zu dem Augenblick, wenn sie an ihren Bestimmungsort geschickt wurden. Wenn der Rest der Reise über Land führte, pflegte Jeremy Sommers zu ihrem Schutz bewaffnete Wachen anzustellen, aber in diesem Fall würde er sie in einem chilenischen Schoner zu ihrem Ziel schicken, der in einer Woche die Anker lichten würde. Andieta trug seinen einzigen, aus der Mode gekommenen, abgetragenen dunklen Anzug und hatte weder Hut noch Schirm. Flammend blickten seine Augen in der leichenhaften Blässe seines Gesichts, und sein schwarzes Haar glänzte feucht von einem der ersten Herbstregen. Miss Rose kam heraus, um die Fracht in Empfang zu nehmen, und Mama Fresia, die immer die Schlüssel des ganzen Hauses an einem Ring am Gürtel trug, führte ihn zu den Güterschuppen im letzten Patio. Der junge Mann stellte die mitgebrachten indianischen Arbeiter in einer Reihe auf, und sie reichten die Frachtstücke von Hand zu Hand über das schwierige Gelände - die gewundenen Treppen, die aufgesetzten Terrassen und die überflüssigen Laubengänge.
Während er zählte, markierte und notierte, machte sich Eliza ihre Fähigkeit zunutze, unsichtbar zu werden, und konnte ihn so nach Lust und Laune beobachten. Zwei Monate zuvor war sie sechzehn geworden, bereit für die Liebe. Als sie Joaquín Andietas Hände mit den langen, tintenbefleckten Fingern sah und seine tiefe, dabei wie Flußrauschen klare und frische Stimme hörte, mit der er den Arbeitern kurze Anweisungen gab, da fühlte sie sich bis ins Innerste angerührt, und ein unbezwingbares Verlangen, sich ihm zu nähern und ihn zu riechen, trieb sie, aus ihrem Versteck hinter dem mit Palmen bepflanzten großen Blumentopf hervorzukommen. Mama Fresia, die schimpfte, weil die Maultiere die Einfahrt verschmutzt hatten, und im übrigen mit den
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