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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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sich vor, beide Hände auf der noch warmen Motorhaube des Chevy, und sie weint wieder, bevor sie die Tränen stoppen kann, kann nicht aufhalten, was sie gar nicht erst kommen sieht. Wehrlos steht sie da, während sich kleine Tropfen aus Wasser und Salz ihren Augen entwinden und auf den rostroten Wagen klatschen.
    Ihr Urgroßvater hat dieses Haus gebaut vor über hundert Jahren, und es wurde instand gehalten, durchaus. Man hat es nicht vernachlässigt und verrotten lassen, wie es mit so vielen Häusern aus der Zeit passiert ist. Hier lebt Chance, seit sie fünf Jahre alt ist. Ihr Urgroßvater, ein Lehrer, der eine Lehrerin geheiratet hat, baute seiner jungen Frau dieses bescheidene Heim aus lebkuchenfarbenem Holz, das nie anders als in demselben vernünftigen Weiß gestrichen worden ist. Ein Schornstein aus Sandsteinblöcken und Mörtel und ein Blitzableiter am Gesims, wo der Giebel auf den Himmel trifft. Er ragt wie ein schmiedeeiserner Finger empor. Und ganz, ganz oben das Fenster zum ehemaligen Dachboden, aus dem Chance’ Zimmer wurde.
    Langsam steigt sie die Steinstufen hinauf, hinauf zur großen Veranda vorn, die um das halbe Haus läuft. Noch immer liegen da der Schwertfarn und sein kaputter roter Tonübertopf, die Erde verstreut über die weißgetünchten Verandabretter, seine Wedel werden schon braun. Ihr Großvater hat den Farn hier nach draußen auf die Veranda getragen, den Vormittag mit dem Umtopfen der eingesperrten Pflanze verbracht, und jetzt markiert sie den Platz, an dem er stand, als sein Herz zum letzten Mal schlug. Niemand hat den Farn weggeräumt oder die Tonscherben zusammengefegt. In der trockenen schwarzen Erde sind Fußspuren zu erkennen, Fußspuren von Sanitätern und Polizisten. An manchen Stellen ist sie platt gedrückt, da wo Joe Matthews zwei volle Stunden lag, bevor Chance nach Hause kam und seine schon kalte, steife Leiche fand.
    Sie tritt gegen den Bausch aus verwelkendem Farn und Erde, und für einen Moment fliegt er durch die Luft, dann schlittert und rollt er über die Veranda, schleift dabei seine Wurzeln hinter sich her und bleibt schließlich neben einem anderen, heilen Topf liegen, einem riesigen Rhododendron, der dem sterbenden Farn in der Morgensonne Schatten spendet. Chance fühlt sich kein bisschen besser, schlechter sogar vielleicht, weil ihr Großvater an dem Farn gehangen hat. Schnell schaut sie weg, eine Hand sucht in der Jeanstasche nach den Schlüsseln, und einen Augenblick später schwingt die Eingangstür in den Flur auf, der muffigkühle, vertraute Geruch des Hauses dahinter quillt heraus, umhüllt Chance.
    Sie übertritt die Schwelle, ein abgewetzter Streifen lackierter Kiefer als Grenzstein für ihre zögerlichen Schritte. Den rechten Fuß darüber, den linken hinterher, und sie taucht aus der unanständigen Helligkeit des Morgens in die Schatten und Überreste der Nacht ein, die sie drinnen erwarten. Wer daran vorbeifährt, hält es einfach für ein Haus, aber Chance weiß, dass es mehr geworden ist: eine düstere, flüsternde Schachtel, die alle Erinnerungen ihres Lebens in sich birgt, eine Gedenkstätte. Der Aufbewahrungsort für tausend Erinnerungsgegenstände und -gründe, die sie nicht braucht, weil sie nichts vergessen könnte, selbst wenn sie es wollte. Dabei wünscht sie sich nichts mehr, als dass es wieder ein schlichtes Haus wäre.
    Sie zieht die Eingangstür langsam hinter sich zu und setzt sich auf den noch kühlen Boden, die Tür im Rücken, die ganze Welt im Rücken. Mit zusammengekniffenen Augen starrt sie den langen Flur entlang, der an der Treppe vorbei in die Küche führt und in das Zimmer, in dem ihr Großvater all seine Pappschachteln und Holzkisten mit Steinen aufbewahrt hat, die Stoff- und Plastiktaschen voller Fossilien und Mineralien, die noch nicht geöffnet, gereinigt oder beschriftet worden sind. Zwei Zimmer und dazwischen ein grelles, schmales Rechteck aus Tageslicht, der Tag schleicht sich durch das Bleiglasfenster in der Hintertür herein.
    Und dann überwältigt es sie wieder, die unbestreitbare Realität der Ereignisse, diese Wirklichkeit, die nach Nelken riecht und einer Schaufel voll roter Friedhofserde – dass sie tot sind, fort, alle zusammen. Chance ist mit dreiundzwanzig Jahren so allein wie ein Mensch, der ein ganzes Leben mit Familie, Freunden und Liebhabern überdauert hat. Eine alte, alte Frau in so junger Haut. Die Wahrheit und ihr Verstand stoßen einander ab wie entgegengesetzte Pole, und Chance schließt die Augen

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