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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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wieder. Nach einer Minute hört die Luft auf, nach Beerdigung zu riechen. Es bleibt nur der samtweiche Duft von Staub und der Geist der Pfeife ihres Großvaters.
     
     
    Die erste Beerdigung, als ihre Eltern bei einem Autounfall starben. Chance blieb am Leben, eine Rücksitzüberlebende, übersät mit blauschwarzen Blutergüssen und mit einem doppelt gebrochenen linken Arm. Aber immer noch lebendig genug, um zuzusehen, wie die Särge in die Erde gesenkt wurden, um neben ihren Großeltern zu stehen, während ein Pastor Sachen aus der Bibel vorlas, die sie nicht verstand. Nur nach Hause wollte sie. Woran sie sich am deutlichsten erinnert, ist die Rückfahrt zum Haus der Großeltern. Schweigend hörte sie zu, während die beiden darüber stritten, dass die Eltern keine Christen waren und trotzdem ein Pastor sie beerdigt hat.
    «Ich habe ihnen erzählt, dass wir das nicht wollen», sagte ihre Großmutter immer wieder. «Ich habe ihnen erzählt, dass Henry und Carol gesagt haben, dass sie es nicht wollen, und du weißt verdammt gut, dass es stimmt, du weißt, wie oft sie das wiederholt haben.»
    «Mrs. Sawyer war es wichtig», sagte ihr Großvater. Es klang so müde, wie Chance sich fühlte. Ihre Großmutter putzte sich laut mit dem Taschentuch die Nase und zischelte verärgert durch die Zähne.
    «Es war nicht die Beerdigung von Mrs. Sawyer, Joe.» Ihr Großvater antwortete nicht, und Chance’ Arm tat weh, aber sie war zu müde, um weiterzuweinen, beobachtete stattdessen, wie die Häuser und Bäume und Hydranten draußen vorbeiglitten.
    Also lebte sie von nun an bei ihnen in ihrem großen Haus auf dem Berg über der Stadt, und sechs Wochen später nahm ein Arzt ihr den Gips ab. Die Knochen waren zusammengewachsen und die Blutergüsse fast nicht mehr zu erkennen, aber niemand schien zu bemerken, dass sie noch andere Verletzungen davongetragen hatte. Am Anfang kam Chance immer mit, wenn ihre Großmutter das Grab der Eltern besuchte, blumenbunte Sträuße darauf und der Nachname tief in den Granit des Steins gemeißelt wie Buchstabierunterricht. Manchmal stellte sie Fragen.
    «Deine Mom und dein Dad schlafen», antwortete ihre Großmutter dann, oder: «Das verstehst du, wenn du ein bisschen älter bist.» Es klang aber nie, als glaubte sie wirklich, was sie da sagte.
    Manchmal schlenderte ihre Großmutter noch auf dem Friedhof umher, an anderen Grabsteinen vorbei, las laut, vielleicht nur sich selbst, die Namen vor, und Chance legte sich ins grüne Friedhofsgras, das Ohr gegen die Erde gepresst, und lauschte, ob sie das Schnarchen ihres Vaters hören konnte oder wie die Mutter manchmal im Schlaf redete. Doch nie ein Laut. Schließlich erwischte ihre Großmutter sie einmal dabei und zwang sie zu versprechen, das nie wieder zu tun.
    «Es ist respektlos, so auf dem Grab eines Menschen zu liegen», und dann weinte sie zu heftig, um genau zu erklären, was sie damit meinte.
    Einmal nachts, als Chance eine so schlimme Erkältung hatte, dass sie schon seit einer Woche in der Schule fehlte, wachte sie auf, und ihre Mutter saß auf dem Stuhl neben dem Fenster, saß nur ganz still da und beobachtete sie. Das Januarmondlicht leuchtete durch sie hindurch, als wäre sie aus Glas. Ihre Augen glänzten wie Perlen. Chance starrte, fiebrig, der Hals schmerzte zu sehr zum Sprechen, und sie wünschte, sie hätte ein Glas Wasser oder Limonade, fürchtete aber, die Mutter könnte verschwinden, falls sie sich bewegte. Schließlich schlief sie langsam wieder ein, und als sie aufwachte, war es Morgen und ihre Mutter fort, auf dem Stuhl nichts außer winterfahlem Sonnenlicht. Sie erzählte ihrer Großmutter davon, die sagte, es wäre nur ein Traum gewesen, ein Fiebertraum, sagte, dass Leute mit hohem Fieber manchmal sehr merkwürdige Sachen träumen, doch während der nächsten Nacht blieb sie bei Chance, und in der übernächsten, saß dort auf dem Stuhl, wo die Mutter gesessen hatte, jede Nacht, bis es Chance wieder besser ging. Ob ihre Großmutter nun Wache hielt oder wartete, Chance fragte nie danach.
    Sie war fünfzehn Jahre alt, als ihre Großmutter sich am niedrigsten Ast der Schwarzeiche hinterm Haus erhängte, grobe Knoten um dickes Holz und ihren schmalen Hals gebunden. Sie kletterte auf eine Leiter, um ranzukommen, sprang runter, um zu hängen. Eine lange Nacht voller Donner und Blitz, und Chance, ein Teenager, gefangen zwischen dem Sturm draußen und dem Sturm, der drinnen im Haus tobte, lag wach und lauschte den Regentropfen, die

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