PR TB 237 Sechs Flammende Sonnen
1.
Erst überzog der Himmel sich mit dem schwefligen Gelb eines
nahenden Gewittersturms - dann, innerhalb weniger Minuten, brach ein
Unwetter herein, wie man es selten erlebt hatte. Mit orkanartiger
Wucht fegte der Sturm über das zum Teil nur provisorisch
befestigte Gelände des Raumhafens hinweg, peitschte rötlichen
Staub vor sich her und wirbelte das langsam verfaulende Laub des
vergangenen Herbstes auf.
GARDEN II war eine Welt der Gegensätze - eine Welt, die
während der kurzen Sommermonate in drückender Hitze
erstickte, sich zu den anderen Jahreszeiten aber von ihrer kältesten
Seite zeigte. Schnee und Eis konnten trotz modernster technischer
Hilfsmittel zur Plage werden, wenn tagelang nicht ein Sonnenstrahl
die dichten Wolkendecke durchdrang.
Dennoch war hier schon vor über einem Jahrzehnt eine
terranische Siedlung entstanden, die mittlerweile fünf Millionen
Einwohner zählte. Vielleicht, weil die Schönheit von GARDEN
II sprichwörtlich war. Zur Blütezeit ein Meer aus Farben
und Düften, erfüllt von den Gesängen exotischer Vögel
- und selbst im Winter ein Paradies für den, dessen Augen sich
an den Schönheiten der Natur erfreuen konnten. Dann verschwanden
Bäume und Sträucher unter einer weißen Last, die sie
praktisch über Nacht in Skulpturen verwandelte, deren Aussehen
in ständiger, unbegreiflicher Veränderung begriffen war.
Aber von alldem zeigte sichjetzt nichts. Selbst die nahen
Hafengebäude blieben hinter einer undurchdringlich scheinenden
gelben Wand verborgen. Die Außenmikrophone übertrugen das
Heulen des Sturmes, der um die Landestützen des Schweren
Kreuzers der TERRA-Klasse strich und um die kuppelförmigen V
erwaltungsgebäude.
Bis auf die beiden Space-Jets auf den benachbarten Landefeldern
war der Raumhafen leer. Es handelte sich um Zubringerschiffe, die
Passagiere nach GARDEN II gebracht hatten. Ein drittes galt seit
Stunden als überfällig.
An Bord des 200 Meter durchmessenden Kreuzers herrschte die
angespannte Hektik der Startvorbereitungen. Der Flug war bisher
reibungslos verlaufen; die neu installierten Lineartriebwerke
hielten, was man sich von ihnen versprach. Der Sturm trug ersten
Schnee mit sich. Allerdings schmolzen die fast handflächengroßen
Flocken, sobald sie den Boden berührten. Das Erdreich war nach
den kurzen Herbsttagen noch zu warm; zum Teil hatten die Siedler ihre
Ernte auch noch nicht eingebracht.
Erst in zwei oder drei Wochen würde der Winter mit voller
Stärke hereinbrechen.
Es war kurz vor Mitternacht Bordzeit, die keineswegs mit den
planetaren Gegebenheiten übereinstimmte. Die meisten Passagiere
schliefen schon; es gab
l
nichts, was sie hätte wachhalten können. GARDEN II war
für sie lediglich eine unbedeutende Zwischenstation, und der
Aufenthalt dauerte inzwischen länger als vorgesehen.
Trotzdem gab es jemanden, der vor seinem Monitor der
Außenbeobachtung saß. Er wartete. Hin und wieder erhob er
sich und machte ein paar Schritte, um den Kreislauf anzuregen.
Neben ihm, auf einem kleinen Tischchen, stand ein halb geleertes
Glas, und da lag auch ein Stapel bedruckter Folien. Auf manchen
befanden sich handschriftliche Notizen.
Der Mann wirkte entspannt, aber in seinen Augen lebte ständige
Wachsamkeit. Nichts schien ihm entgehen zu können. Und jeder,
der ihn kannte, wußte, daß er nie früh zu Bett ging.
Meist ließ seine Arbeit ihm auch keine Zeit dazu.
Draußen brach die Dämmerung herein. Das Tosen des
Sturmes flaute ab, nur hin und wieder peitschten noch heftige Böen
über die Landefelder. Es schneite jetzt dichter, der Schnee
blieb liegen. Wahrscheinlich zog der erste Nachtfrost auf. Über
die Außenhülle der STARLIGHT, dem zu einem Passagierschiff
umgebauten Schweren Kreuzer, schoß das Tauwasser in Strömen.
Eine der beiden Space-Jets startete. Mit flammenden
Impulstriebwerken zog sie in die Schwärze der Nacht davon.
Der heimliche Beobachter in seiner Kabine fuhr sich mit den
Fingern durch den schütteren, strohblonden Haarkranz. Er wußte
nicht, was vorgefallen war, hatte auch vom Kommandanten keine
Auskunft erhalten können. Hoffentlich war nicht alles umsonst.
Das Ausbleiben des dritten Zubringerschiffs sorgte ihn mehr, als er
sich einzugestehen bereit war.
Solarmarschall Allan D. Mercant, Chef der Solaren Abwehr, ließ
sich seufzend in seinem Sessel zurücksinken. Nach einem tiefen
Schluck aus dem Glas griff er wieder nach den Folien, die er zur
Seite gelegt hatte.
Drei Passagiere fehlten noch. Zwei von ihnen mußte
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