Foundation 06: Die Grösse des Imperiums
echten ›Herren‹
denken, auch wenn nicht damit zu rechnen war, daß einer von
ihnen jemals als einfacher Besucher durch diese Tür treten
würde. Sollte es aber doch einmal dazu kommen, so wäre es
nicht ratsam, wenn der erste Blick des ›Herrn‹ auf ein
Regal voller Buchfilme fiele. Als Schultheiß hatte Terens zwar
gewisse Privilegien, aber das hieß noch lange nicht, daß
er sich öffentlich damit brüsten konnte.
Wieder erhob er die Stimme. »Ich komme«, rief er.
Diesmal ging er tatsächlich zur Tür. Unterwegs
schloß er die Außennaht seines Überrocks. Sogar in
seiner Kleidung erinnerte er an einen ›Herrn‹. Manchmal
vergaß er fast, daß er auf Florina geboren war.
Valona March stand auf der Schwelle. Als er öffnete,
begrüßte sie ihn mit einem Knicks und senkte respektvoll
den Kopf.
Terens riß die Tür weit auf. »Komm herein, Valona,
und nimm Platz. Wir haben sicher längst Ausgangssperre.
Hoffentlich hat dich kein Gendarm gesehen.«
»Ich glaube nicht, Schultheiß.«
»Ich kann es dir nur wünschen. Du hast schon so einiges
auf dem Kerbholz.«
»Ja, Schultheiß. Sie haben viel für mich getan,
und ich bin Ihnen auch sehr dankbar.«
»Lassen wir das. Hier, setz dich. Möchtest du etwas
essen oder trinken?«
Sie setzte sich kerzengerade auf die vorderste Kante eines Stuhls
und schüttelte den Kopf. »Nein, danke, Schultheiß.
Ich habe schon gegessen.«
Im Dorf war es ein Gebot der Höflichkeit, jedem Besucher eine
Erfrischung anzubieten, aber es galt als unhöflich, das Angebot
anzunehmen. Terens wußte das, und so bedrängte er sie
nicht weiter.
»Nun, Valona«, sagte er, »was hast du auf dem
Herzen? Geht es wieder einmal um Rik?«
Valona nickte, wußte aber offenbar nicht, wie sie anfangen
sollte.
»Gab es Ärger in der Fabrik?« fragte Terens.
»Nein, Schultheiß.«
»Wieder diese Kopfschmerzen?«
»Nein, Schultheiß.«
Terens wartete. Seine hellen Augen wurden schmal, er sah sie
scharf an. »Nun, Valona, du kannst nicht erwarten, daß ich
errate, was du von mir willst. Nun komm schon, heraus mit der
Sprache, sonst kann ich dir nicht helfen. Und du willst doch wohl,
daß ich dir helfe?«
»Ja, Schultheiß«, sagte sie, und mit einem Mal war
der Damm gebrochen: »Wie soll ich Ihnen das erklären? Es
klingt geradezu verrückt.«
Terens hätte ihr gern tröstend auf die Schulter
geklopft, aber er wußte, daß sie vor jeder Berührung
zurückscheuen würde. Wie immer hatte sie ihre großen
Hände so tief wie möglich unter ihr Kleid geschoben.
Trotzdem sah er, daß sie die kurzen, kräftigen Finger
ineinandergeschlungen hatte und die Hände langsam hin- und
herdrehte.
»Was immer es ist«, sagte er. »Ich höre dir
zu.«
»Wissen Sie noch, Schultheiß, wie ich Ihnen von dem
Arzt in der Stadt erzählte und was er gesagt hat?«
»Gewiß, Valona. Ich weiß auch noch, daß ich
dich damals eindringlich ermahnt habe, so etwas nie wieder zu tun,
ohne mich vorher zu fragen. Ich hoffe, du hast es nicht
vergessen.«
Sie riß die Augen weit auf. Der Hinweis war
überflüssig. Sie würde nie vergessen, wie wütend
er gewesen war. »Es kommt bestimmt nicht wieder vor,
Schultheiß. Aber ich wollte Sie an etwas anderes erinnern. Sie
hatten mir damals versprochen, mir zu helfen, damit ich Rik behalten
kann.«
»Und dazu stehe ich auch. Haben sich etwa die Gendarmen nach
ihm erkundigt?«
»Nein. O Schultheiß, glauben Sie denn, das könnte
passieren?«
»Nein, ganz sicher nicht.« Allmählich war er mit
seiner Geduld am Ende. »Nun komm schon, Valona, sag mir, was
geschehen ist.«
Ihr Blick verdüsterte sich. »Schultheiß, er sagt,
er will mich verlassen. Das müssen Sie ihm verbieten.«
»Warum will er dich verlassen?«
»Er sagt, er erinnert sich an gewisse Dinge.«
In Terens’ Augen flackerte Interesse auf. Er beugte sich
unwillkürlich vor und hätte fast nach ihrer Hand gegriffen.
»Er erinnert sich an gewisse Dinge? Was sind das für
Dinge?«
Terens dachte zurück an den Tag, als man Rik gefunden hatte.
Gleich vor dem Dorf an einem der Bewässerungskanäle hatte
sich eine Horde Kinder zusammengerottet und mit schrillen Stimmen
»Schultheiß! Schultheiß!« gerufen.
Er war sofort hingelaufen. »Was ist los, Rasie?« Als er
ins Dorf kam, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, sich die Namen
sämtlicher Kinder einzuprägen. Solche Gesten ’ machten
einen guten Eindruck bei den Müttern und würden ihm die
ersten ein bis zwei Monate sicher erleichtern.
Rasie war ganz grün
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