Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fräulein Else - Novelle

Fräulein Else - Novelle

Titel: Fräulein Else - Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
sei Dank. Er küßt mir die Hand. Das tut er sonst nie. „Adieu, Paul.“ Wo hab' ich die schmelzende Stimme her? Er geht, der Schwindler. Wahrscheinlich muß er noch etwas abmachen mit Cissy wegen heute Nacht. Wünsche viel Vergnügen. Ich ziehe den Schal um meine Schulter und stehe auf und geh' vors Hotel hinaus. Wird freilich schon etwas kühl sein. Schad', daß ich meinen Mantel – Ah, ich habe ihn ja heute früh in die Portierloge hineingehängt. Ich fühle den Blick von Dorsday auf meinem Nacken, durch den |42| Schal. Frau Winawer geht jetzt hinauf in ihr Zimmer. Wieso weiß ich denn das? Telepathie. „Ich bitte Sie, Herr Portier –“ „Fräulein wünschen den Mantel?“ – „Ja, bitte.“ – „Schon etwas kühl die Abende, Fräulein. Das kommt bei uns so plötzlich.“ – „Danke.“ Soll ich wirklich vors Hotel? Gewiß, was denn? Jedesfalls zur Türe hin. Jetzt kommt einer nach dem andern. Der Herr mit dem goldenen Zwicker. Der lange Blonde mit der grünen Weste. Alle sehen sie mich an. Hübsch ist diese kleine Genferin. Nein, aus Lausanne ist sie. Es ist eigentlich gar nicht so kühl.
    „Guten Abend, Fräulein Else.“ Um Gotteswillen, er ist es. Ich sage nichts von Papa. Kein Wort. Erst nach dem Essen. Oder ich reise morgen nach Wien. Ich gehe persönlich zu Doktor Fiala. Warum ist mir das nicht gleich eingefallen? Ich wende mich um mit einem Gesicht, als wüßte ich nicht, wer hinter mir steht. „Ah, Herr von Dorsday.“ – „Sie wollen noch einen Spaziergang machen, Fräulein Else?“ – „Ach, nicht gerade einen Spaziergang, ein bißchen auf und abgehen vor dem Diner.“ – „Es ist fast noch eine Stunde bis dahin.“ – „Wirklich?“ Es ist gar nicht so kühl. Blau sind |43| die Berge. Lustig wär's, wenn er plötzlich um meine Hand anhielte. – „Es gibt doch auf der Welt keinen schöneren Fleck als diesen hier.“ – „Finden Sie, Herr von Dorsday? Aber bitte, sagen Sie nicht, daß die Luft hier wie Champagner ist.“ – „Nein, Fräulein Else, das sage ich erst von zweitausend Metern an. Und hier stehen wir kaum sechzehnhundertfünfzig über dem Meeresspiegel.“ – „Macht das einen solchen Unterschied?“ – „Aber selbstverständlich. Waren Sie schon einmal im Engadin?“ – „Nein, noch nie. Also dort ist die Luft wirklich wie Champagner?“ – „Man könnte es beinah' sagen. Aber Champagner ist nicht mein Lieblingsgetränk. Ich ziehe diese Gegend vor. Schon wegen der wundervollen Wälder.“ – Wie langweilig er ist. Merkt er das nicht? Er weiß offenbar nicht recht, was er mit mir reden soll. Mit einer verheirateten Frau wäre es einfacher. Man sagt eine kleine Unanständigkeit und die Konversation geht weiter. – „Bleiben Sie noch längere Zeit hier in San Martino, Fräulein Else?“ – Idiotisch. Warum schau' ich ihn so kokett an? Und schon lächelt er in der gewissen Weise. Nein, wie dumm die Männer sind. „Das |44| hängt zum Teil von den Dispositionen meiner Tante ab.“ Ist ja gar nicht wahr. Ich kann ja allein nach Wien fahren. „Wahrscheinlich bis zum zehnten.“ – „Die Mama ist wohl noch in Gmunden?“ – „Nein, Herr von Dorsday. Sie ist schon in Wien. Schon seit drei Wochen. Papa ist auch in Wien. Er hat sich heuer kaum acht Tage Urlaub genommen. Ich glaube, der Prozeß Erbesheimer macht ihm sehr viel Arbeit.“ – „Das kann ich mir denken. Aber Ihr Papa ist wohl der Einzige, der Erbesheimer herausreißen kann … Es bedeutet ja schon einen Erfolg, daß es überhaupt eine Zivilsache geworden ist.“ – Das ist gut, das ist gut. „Es ist mir angenehm zu hören, daß auch Sie ein so günstiges Vorgefühl haben.“ – „Vorgefühl? Inwiefern?“ – „Ja, daß der Papa den Prozeß für Erbesheimer gewinnen wird.“ – „Das will ich nicht einmal mit Bestimmtheit behauptet haben.“ – Wie, weicht er schon zurück? Das soll ihm nicht gelingen. „O, ich halte etwas von Vorgefühlen und von Ahnungen. Denken Sie, Herr von Dorsday, gerade heute habe ich einen Brief von zu Hause bekommen.“ Das war nicht sehr geschickt. Er macht ein etwas verblüfftes Gesicht. Nur |45| weiter, nicht schlucken. Er ist ein guter alter Freund von Papa. Vorwärts. Vorwärts. Jetzt oder nie. „Herr von Dorsday, Sie haben eben so lieb von Papa gesprochen, es wäre geradezu häßlich von mir, wenn ich nicht ganz aufrichtig zu Ihnen wäre.“ Was macht er denn für Kalbsaugen? O weh, er merkt was. Weiter, weiter. „Nämlich in dem Brief ist auch von

Weitere Kostenlose Bücher