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Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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Kapitel 1
    Bei meiner ersten Begegnung mit Onkel Lucas hatte ich versucht, ihn zu bestehlen. Das hat schon Ironie, wenn man bedenkt, was er siebenundzwanzig Jahre später von mir wollte!
    Ich war als Siebenjährige mit meinen Eltern in London, in der Heimat meines Vaters. Ich war damals noch zu jung, ich konnte nicht begreifen, dass meine Eltern mit dieser Reise einen letzten verzweifelten Versuch unternahmen, ihre Ehe zu retten. Ich hätte es mir denken können. Seit wir, vierzehn Tage zuvor, in Melbourne losgeflogen waren, hatten sie unentwegt gestritten.
    Lucas, der ältere Bruder meines Vaters, lebte in einem dreigeschossigen Reihenhaus im Westen Londons, nahe Paddington Station, Bayswater Road und Hyde Park. Damals hatte mir das nichts gesagt. Doch ich hatte mich gefragt, wer all das Gras mähte, das hinter den Toren grün leuchtete, und die Häuser hatten mich an Hochzeitstorten erinnert. Ich weiß auch noch, dass ich beim Warten auf Lucas die Treppe vor seinem Haus auf und ab gelaufen war.
    Damals war ich noch Einzelkind und daran gewöhnt, dass sich die Aufmerksamkeit beider Elternteile auf mich richtete, auch wenn ich im Schatten ihrer Streitigkeiten leben musste. Ich glaube, sie waren auch in dem Moment in eine Auseinandersetzung verstrickt. Es wurde nie handgreiflich, sie warfen sich nur ständig treffende und treffend formulierte Beleidigungen an den Kopf. Ich weiß noch, dass sich Lucas durch seine braunen Locken gefahren war und mit seiner schönen, tiefen Stimme gesagt hatte: »Na, streitet ihr immer noch?« Dann war er in die Hocke gegangen, hatte mir direkt in die Augen geblickt und mit einem breiten Lächeln gesagt: »Hallo, du bist sicher Arabella.«
    »Ella«, sagte ich entschieden. Schon damals hatte ich meinen richtigen Namen gehasst.
    »Ella«, wiederholte er. »Viel schöner. Kannst du das auch rückwärts sagen?«
    Ich nickte. »Alle.«
    Er streckte mir die Hand entgegen. »Hallo, Alle. Ich bin Sacul.«
    Wir folgten ihm ins Haus, Dad und Lucas bereits in ein Gespräch vertieft, meine Mutter hintendrein. Sie jammerte, weil ihr die Füße wehtaten, was nur an den hohen Absätzen lag, die sie ausgerechnet an dem Tag angezogen hatte, an dem wir London zu Fuß erkunden wollten. Wahrscheinlich hatten meine Eltern deswegen gestritten. Oder wegen etwas anderem. Themen hatten sie genug. Aber das war in dem Moment auch nicht mehr wichtig. Ich hatte nur noch Augen für das Haus.
    Meine Eltern hatten Lucas schon im Jahr davor besucht, bei einer der vielen Dienstreisen meines Vaters. Ich war in Australien geblieben, bei Freunden meiner Eltern. Mein Vater arbeitete in der Bergbauindustrie – nicht in der Mine, sondern im Büro, in der Bilanzbuchhaltung – und fuhr oft ins Ausland, im Auftrag seines multinationalen Arbeitgebers. Während der Schulferien begleiteten Mum und ich ihn manchmal. Von daher war ich große Hotels und luxuriöse Apartments gewöhnt. Aber so etwas wie dieses Haus hatte ich noch nie gesehen.
    Es waren nicht die hohen Decken, die lange Eingangshalle, das Treppenhaus, die vielen Türen, die Stofftapete oder die unzähligen Bücher, die mich so fesselten. Es war das Durcheinander . In diesem Haus herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Nirgendwo war Platz. Die Eingangshalle war das reinste Labyrinth, überall standen Kisten herum, aus denen Papiere quollen. Eine Wand war vollständig mit Bücherregalen verstellt, die vom Boden bis zur Decke reichten. Die Borde waren derart überfüllt, man hätte nicht einmal eine Broschüre hineinzwängen können, geschweige denn ein Buch. Und vermutlich hatte es in Wirklichkeit muffig und stickig gerochen, doch in meiner Erinnerung roch es nach Papier und alten Büchern und verbranntem Holz. Ein Barbecue? Nein. In einem Zimmer brannte der Kamin. Mitten im Sommer!
    Bevor Onkel Lucas mit meinen Eltern in einem Raum verschwunden war, den er scherzhaft den Gegensalon nannte, hatte er mir sinnbildlich den Generalschlüssel überreicht.
    »Geh überallhin, Ella. Fass alles an. Aber versuch bitte, nichts kaputt zu machen.«
    Ich lief los. Und war sofort wieder da. Lucas hatte meinen Eltern noch nicht einmal Tee eingeschenkt.
    »Da ist jemand in dem Zimmer da«, sagte ich und wies durch die Eingangshalle.
    »Männlich? Rotes Haar? Brille?«
    Ich nickte.
    »Das ist Bill. Einer meiner Studenten.«
    »Ist das hier eine Schule?«, fragte ich. »Bist du Lehrer?«
    »Zwei ausgezeichnete Fragen, Ella. Nein, nicht wirklich. Und, nein, nicht wirklich.«
    Mein Vater

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