Fraeulein Jensen und die Liebe
küsste der Junge das Mädchen beherzt auf den Mund. Hallo? Ich dachte, dass Chinesen dafür bekannt sind, dass sie in der Öffentlichkeit keine Emotionen zeigen. Sogar bei denen fallen hier alle Hemmungen! Es ist zum Heulen.
Ich bestelle mir den zweiten Milchkaffee für geschlagene 5 Euro 20 (egal, heute ist alles egal) und sehe mich um. Ich sitze alleine am Tisch. Natürlich, Alexander ist bestimmt in einer Sitzung oder flirtet mit der doofen Holländerin. Wenn ich die Beine ausstrecke, berühren sie das kalte Messing des Stuhlbeines neben mir. Wie schön wäre es, wenn sie jetzt die Beine von ...
Das Telefon klingelt. Alexander sagt, dass er seinen Job an den Nagel gehängt hat und schon auf dem Weg zu mir ist, um mir gleich eine kleine Kathedrale zu kaufen. (Mein Gott, die scheint es mir wirklich angetan zu haben.)
Mit einem winzigen Funken Hoffnung schaue ich aufs Display. Natürlich, Pia!
»Guten Tag«, sagt Pia mit verstellter Stimme. »Ich würde gern die Politikergattin Frau Jensen sprechen. Wäre das möglich oder ist sie gerade mit Barack Obama unterwegs?« Sie kichert.
»Das Weiße Haus lässt ausrichten, dass Frau Jensen nicht gestört werden möchte. Sie unterzeichnet gerade die Scheidungspapiere.«
»Scheidungspapiere?« Pia hat wieder ihre normale Stimme angenommen und klingt ehrlich entsetzt. »Hat’s nicht funktioniert? Deine SMS klang doch so verheißungsvoll.«
»Ach so, du meinst meinen Ausflug in die Poesie? Nun, die Antwort ist: Er ist ein Mann und ein Traum und bleibt ein Traum«, sage ich kryptisch. »Erzähl ich dir alles morgen in Ruhe.«
Wir legen auf.
Das waren sie also. Meine zehn Traummänner. Sie waren lustig, intelligent, gut aussehend, selbstironisch, tiefsinnig und charmant. Und was habe ich daraus gemacht? Nichts.
Na ja, kein Problem. Für den nächsten Mann werde ich einfach lernen, Elefanten zu dressieren, versaute Witze zu erzählen und Sauce Carbonara zu kochen. Wenn ich dann noch sportlich werde und meine Stimme in einen angenehmen Altton verwandle, kann eigentlich nichts schiefgehen.
Während ich einen Kloß in meinem Hals spüre, sehe ich, wie der Saxofonspieler von der anderen Straßenseite auf mich zukommt. Er hält direkt vor mir. Was spielt er denn da? Oh Gott. Jetzt wird es kitschig. Es ist »I did it my way« von Frank Sinatra. Ich muss schlucken.
Ich krame einen Zehn-Euro-Schein aus meinem Portemonnaie. Er verbeugt sich dankend und ich fange an zu weinen. Langsam laufen mir die Tränen übers Gesicht. Es stimmt. I did it my way. Der nächste Mann wird das zu schätzen wissen. Und ich bin mir sicher: Es wird einen nächsten Mann geben. Einen ganz realen Traummann. Ich muss lächeln.
© Philipp Baben der Erde
Die Autorin:
Anne Hansen, geboren 1980 in Husum, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie absolvierte die Kölner Journalistenschule und studierte Politik und Wirtschaft. Um die Glückssuche ihrer Romanfigur wirklichkeitstreu erzählen zu können, hat sie sich mit allen im Buch vorkommenden Männern getroffen. Sie glaubt an die große Liebe.
Über dieses Buch:
Hannah Jensen hat einen Traum. Genauer: einen Traummann. Noch genauer: Sie hat eigentliche sehr, sehr viele Traummänner. Sie geht in ein Musical und verliebt sich unsterblich in den Gesang der männlichen Hauptfigur. Sie sieht »Stars in der Manege« in Fernsehen und schon bewundert sie den Mut des Mannes, der so souverän die Löwen bändigt. Sie geht ins Kino und verliebt sich in die Synchronstimme von Hugh Grant. Kurz: Hannah Jensen träumt Luftschlösser und hat kein Auge für das Glück vor ihrer Nase. Bis ihrer Freundin Pia der Kragen platzt: »Du triffst jetzt deine zehn Märchenprinzen, und wenn da keiner dabei ist, fängst du bitteschön an, dich für normale Männer zu interessieren!«
So macht sich Hannah Jensen auf, den Löwendompteur Martin Lacey, den Soap-Star Joscha Kiefer, den Gedankenleser Thorsten Havener, den Musical-Sänger Kevin Tarte, Comedian Bernhard Hoecker, den Stabhochspringer Tim Lobinger und andere »Traummänner« tatsächlich zu treffen. Wird sie ihren Mann fürs Leben finden?
© Eichborn AG, Frankfurt am Main, 2010
Ungekürzte Ausgabe
Umschlaggestaltung: Melanie Petersen, www.melaniepetersen.de
Lektorat: Matthias Bischoff
e-Book-Umsetzung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH
ISBN 978-3-8218-8557-5
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf, gleich in welcher Form, ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert,
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