Frankenstein oder Der moderne Prometheus
Hochzeit
begab sich das Paar nach Italien, wo das milde Klima und eine Reise
durch das wundervolle Land die Gesundheit der jungen Frau
wiederherstellen sollten.
Von Italien aus ging dann die Reise nach Deutschland und
Frankreich. Ich, das älteste Kind, kam in Neapel zur Welt und
begleitete als kleiner Bursche schon meine Eltern auf ihren
Streifzügen. Mehrere Jahre blieb ich ihr einziges Kind. Aus ihrer
unerschöpflichen Liebe zueinander entsprang eine reiche Quelle von
Liebe für mich. Die Liebkosungen meiner Mutter und das wohlwollende
Lächeln meines Vaters sind meine ersten Erinnerungen. Ich war ihnen
zugleich Spielzeug und Idol und, was das Beste ist, ihr Kind, das
kleine, hilflose Wesen, das ihnen Gott geschenkt hatte, um es
aufzuziehen, dessen Wohl und Wehe in ihren Händen lag. Es ist nicht
verwunderlich, daß bei dem hohen Pflichtgefühl, das meine Eltern
beseelte, und bei dem Geiste wahrer Zärtlichkeit, der in unserem
Hause waltete, mein Leben einer Reihe von Freuden glich.
Lange Zeit war ich ihre einzige Sorge. Meine Mutter hatte sich
noch ein Töchterchen ersehnt, aber ich blieb das einzige Reis am
Baume. Als ich etwa fünf Jahre alt war, machten wir eine Reise nach
der italienischen Grenze und verbrachten auch eine Woche an den
Gestaden des Comersees. Ihr wohltätiger Sinn führte sie oftmals in
die Hütten der Armen. Meine Mutter empfand das nicht nur als eine
Pflicht, es war ihr ein Bedürfnis, eine Leidenschaft, den Armen in
ihrem Elend ein Engel zu sein, denn sie hatte selbst viel gelitten
und wußte, wie weh das tut. Bei einem ihrer Spaziergänge erregte
eine kleine Hütte ihre Aufmerksamkeit, die wie verschämt sich in
einem Seitentale barg und die, von der Schar armselig gekleideter
Kinder zu schließen, die vor der Türe saßen, ein gut Teil Not und
Elend zu bergen schien. Als mein Vater eines Tages nach Mailand
verreist war, besuchte meine Mutter diese Hütte und ich durfte sie
begleiten. Wir trafen ein bäuerisches Ehepaar, von Sorge und harter
Arbeit niedergebeugt, das gerade ein karges
Mahl an die fünf hungernden Kinder verteilte. Unter diesen war
eines, das meiner Mutter besonders auffiel, denn es schien von ganz
anderem Schlage. Während die übrigen Kinder schwarzäugige, derbe
Kerle waren, sah die schlanke Kleine sehr hübsch aus. Sie hatte
glänzendes Goldhaar und trotz der Armut ihrer Kleidung breitete
sich ein unverkennbarer Adel über sie aus. Ihre Stirn war breit und
hoch, ihre Augen leuchteten wie Sterne und ihr ganzes Antlitz war
so lieblich, daß man sie nicht ansehen konnte, ohne sofort das
Gefühl zu haben, daß sie etwas Besonderes, ein gottbegnadetes
Geschöpf sei. Die Bäuerin hatte gleich bemerkt, daß meine Mutter
mit Interesse und Bewunderung ihre Augen auf der Kleinen ruhen
ließ, und erzählte sofort deren Lebensgeschichte. Sie war nicht ihr
Kind, sondern das Töchterchen eines Edelmannes aus Mailand. Ihre
Mutter, eine Deutsche, war gestorben, als sie dem Kinde das Leben
gegeben hatte. Man hatte ihnen das kleine Wesen zur Pflege
übergeben, sie waren damals noch nicht so arm gewesen. Sie waren
noch nicht lange verheiratet und ihr erstes Kind war damals gerade
zur Welt gekommen. Der Vater ihres Pflegekindes war einer jener
Italiener gewesen, die in der Erinnerung an die glorreiche
Geschichte ihrer Heimat aufgewachsen waren; einer jener Männer, die
sich selbst opferten, um ihrem Vaterlande die Freiheit zu
verschaffen. Auch er fiel seiner Leidenschaft zum Opfer. Ob er
starb oder ob er noch in einem der Gefängnisse Österreichs
schmachtete, wußte man nicht. Jedenfalls waren seine Güter
konfisziert worden und sein Kind war ein Bettelkind geworden. Es
blieb bei seinen Pflegeeltern und blühte in der rauhen Umgebung
schöner wie eine Rose zwischen dunkelfarbigem Unkraut.
Als mein Vater von Mailand zurückkehrte, fand er mich auf dem
Vorplatze unserer Villa mit der Kleinen spielend, die schön war wie
ein Cherub; ein Wesen, aus dessen Augen wundervolle Strahlen
leuchteten und das schlank und beweglich war wie eine Gemse. Die
Angelegenheit war bald geregelt. Mit Erlaubnis meines Vaters
vermochte die Mutter die armen Leute rasch zu bewegen, ihr die Obhut über das Kind zu überlassen. Sie konnten
die arme, süße Waise gut leiden und sie war ihnen immer wie ein
Sonnenschein im Hause gewesen; deshalb hätten sie es nicht übers
Herz gebracht, sie in Not und Elend zurückzuhalten, während ihr die
Vorsehung ein solches Glück bescherte. Sie fragten noch den
Priester des
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