Frankenstein oder Der moderne Prometheus
waren fast völlig erfroren und sein Leib war
förmlich gebrochen von Müdigkeit und Krankheit. Ich habe noch nie
einen Menschen in einer so kläglichen Verfassung gesehen. Wir
versuchten ihn in die Kajüte zu tragen, aber kaum hatten wir ihn
unter Deck, da wurde er schon ohnmächtig. Wir brachten ihn also
wieder an Deck zurück und suchten durch Reiben mit Branntwein und
Einflößen von kleinen Schlucken ihn ins Leben zurückzurufen. Als er
Lebenszeichen von sich zu geben begann, wickelten wir ihn in
Leinentücher und legten ihn in der Nähe des Küchenofens nieder.
Allmählich erholte er sich und aß ein paar Löffel Suppe, die ihm
sehr wohl taten.
Zwei Tage vergingen, ehe es ihm möglich war zu sprechen, und mir
kam es zuweilen vor, als hätten ihm all die Leiden den Verstand
geraubt. Als er einigermaßen hergestellt war, ließ ich ihn in meine
Kajüte bringen und pflegte ihn, soweit es sich mit meinen Pflichten
vereinbaren ließ. Ich habe nie in meinem Leben einen
interessanteren Menschen kennen gelernt. Seine Augen haben meist
den Ausdruck der Wildheit, ich möchte fast sagen des Irrsinnes;
aber in manchen Momenten, besonders wenn ihm jemand etwas Liebes
erweist oder ihm einen, wenn auch noch so kleinen Dienst leistet,
leuchtet sein ganzes Wesen auf und wird durchstrahlt von einem
Schimmer von Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit, wie man ihn
selten findet. Sonst ist er aber melancholisch und verzweifelt und
knirscht zuweilen mit den Zähnen, als könne er das Übermaß der
Qualen, die er leidet, nimmer tragen.
Als mein Gast einigermaßen wieder gesund war, hatte ich große
Mühe, meine Leute zu verhindern, daß sie ihn mit allenmöglichen Fragen belästigten. Ich konnte es doch nicht
gestatten, daß durch ihre müßige Neugierde die geistige und
körperliche Genesung des Fremden, die offenbar nur durch
ungestörteste Ruhe bewirkt werden konnte, aufgehalten werden
sollte. Einmal jedoch gelang es meinem Leutnant dennoch, die Frage
an ihn zu richten, wo er denn in seinem seltsamen Vehikel so weit
über das Eis herkäme.
Ein Schatten tiefster Betrübnis huschte über sein Gesicht, dann
sagte er: »Um einen zu suchen, der mich floh.«
»Und reiste der Mann, den Sie suchten, in derselben Weise, wie
Sie?«
»Ja.«
»Dann, glaube ich, haben wir ihn gesehen. Denn am Tage, ehe wir
Sie fanden, sahen wir einen Mann auf einem von Hunden gezogenen
Schlitten über das Eis hinwegfahren.«
Dies erregte die Aufmerksamkeit des Fremden und er stellte eine
Reihe dringender Fragen, die sich darauf bezogen, welche Richtung
der Dämon – so nannte er den anderen – genommen habe. Als er kurz
nachher mit mir allein war, sagte er: »Ich habe ohne Zweifel Ihre
Neugierde erregt, ebenso wie die dieser guten Leute, aber Sie
selbst sind ja zu rücksichtsvoll, um mich auszufragen.«
»Gewiß; ich würde es für aufdringlich und unmenschlich halten,
Sie mit irgendwelchen Fragen zu belästigen.«
»Und das, trotzdem Sie mich aus einer seltsamen, verzweifelten
Situation gerettet und mich zum Leben zurückgebracht haben!«
Einige Zeit danach fragte er mich, ob ich glaube, daß der
Eisgang den Schlitten des »Anderen« zerstört habe. Ich antwortete
ihm, daß ich hierüber mit Bestimmtheit nichts aussagen könne, denn
der Eisgang habe erst gegen Mitternacht eingesetzt und der Reisende
könne bis dahin recht wohl sich in Sicherheit gebracht haben.
Seit dieser Auskunft schien neuer Lebensmut den gebrechlichen
Körper des Fremden zu durchströmen. Er wollte absolutan Deck bleiben, um nach dem Schlitten auszuspähen,
von dem wir ihm gesprochen hatten. Aber ich habe ihn überredet,
sich in der Kabine aufzuhalten, da er für die rauhe Temperatur da
oben doch noch nicht stark genug sei. Ich habe ihm aber
versprochen, daß jemand an seiner Stelle Ausschau halten und ihn
sofort benachrichtigen werde, wenn sich irgend etwas sehen lassen
sollte.
Bis zum heutigen Tage habe ich Dir nun alles über das seltsame
Ereignis berichtet. Der Fremde scheint sich nach und nach zu
kräftigen, aber er ist still und in sich gekehrt und ist ärgerlich,
wenn ein anderer als ich seine Kajüte betritt. Aber er ist trotzdem
so freundlich und liebenswürdig, daß die Matrosen ihn alle gern
haben, wenn sie auch nur sehr wenig mit ihm in Berührung kommen.
Ich aber gewinne ihn allmählich lieb wie einen Bruder und sein
ständiger, tiefer Gram flößt mir tiefes Mitleid mit ihm ein. Er muß
in seinen guten Tagen ein prächtiger Mensch gewesen sein, er, der
noch als
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