Frau Paula Trousseau
Erstes Buch
1.
Drei Wochen zuvor hatte sich Paula bei ihm gemeldet, so erschien es ihm jedenfalls. Er war derart merkwürdig und unerklärlich auf ihren Namen gestoßen, dass er den ganzen Tag immer wieder an sie denken musste und schließlich mit einem befreundeten Computerspezialisten telefonierte, um von ihm eine Erklärung für das Geschehene zu bekommen.
An jenem Tag hatte Sebastian Gliese an seinem Schreibtisch vor der geöffneten Adressendatei gesessen, um eine Telefonnummer zu suchen. Die Sekretärin hatte zwei Jahre zuvor sämtliche Namen und Anschriften seiner alten Rolodex-Kartei in den Computer übertragen. Es war eine Liste von mehreren hundert Namen, da er nie eine Adresse löschte, auch wenn es seit Jahren keinen Kontakt mehr gab und die Angaben möglicherweise überholt waren. Als er die Namen durchrollen ließ, stutzte er. Der Name Paula Trousseau war zweimal vorhanden. Er öffnete nacheinander beide Adresskarten, sie waren identisch, seine Sekretärin musste aus Versehen die Adresse zweimal abgeschrieben haben. Er erinnerte sich an Paula, die er ein halbes Leben lang nicht gesehen hatte, dann löschte er die Dublette. Der Computer fragte, ob dieser Eintrag tatsächlich gelöscht werden solle, er drückte nochmals die Taste, und auf dem Bildschirm erschien für Sekunden der Vermerk: gelöscht am 22. Mai.
Als er sich vergewissern wollte, dass ihre Adresse nur noch einmal vorhanden ist, war ihr Name nicht mehr zu finden. Beide Einträge waren verschwunden, PaulaTrousseau existierte in seinem Computer nicht mehr. Er versuchte, die Löschung rückgängig zu machen, aber das war nicht möglich oder er dafür zu ungeschickt. Er grübelte, worin der Fehler bestanden haben könnte. Ein Freund, den er anrief, weil er sich von ihm eine Lösung des Problems erhoffte, erklärte ihm lediglich, so etwas komme vor, er solle eben stets eine Sicherheitsdatei anlegen, um sich vor solchen Überraschungen zu schützen.
Und nun, wenige Wochen nachdem er ihren Namen gelöscht hatte, hörte er wieder von ihr. Er war von einem Kundenbesuch ins Büro zurückgekommen, als ihm seine Sekretärin sagte, die französische Polizei habe angerufen und wünsche ihn zu sprechen. Sie würden gegen drei Uhr nochmals anrufen.
»Wer will mich sprechen?«, fragte Gliese überrascht.
»Die Gendarmerie von Vendôme. Ein Monsieur Passeret.«
Er fuhr herum und starrte die Frau überrascht an.
»Die Gendarmerie? Aus Vendôme? In Frankreich?«
»Ja, natürlich.«
»Was habe ich mit der französischen Gendarmerie zu tun? Was wollen die von mir?«
»Das wollte er mir nicht sagen.«
Er schüttelte belustigt den Kopf.
»Gut. Stellen Sie ihn durch, falls er sich wieder meldet.«
»Sie müssen französisch mit ihm sprechen. Monsieur Passeret spricht kein Deutsch und kein Englisch.«
»Auch das noch.«
Eine halbe Stunde später klingelte es.
»Monsieur Gliese?«
»Ja.«
»Können Sie mich verstehen? Sprechen Sie Französisch?«
»Ein wenig. Sprechen Sie bitte langsam.«
»Sie sind Monsieur Sebastian Gliese? Sie wohnen in der Nummer fünf der Körnerstraße in Berlin?«
»Das ist korrekt. Was wollen Sie von mir?«
»Mein Name ist Jean-François Passeret, ich bin Commandant der Gendarmerie Nord von Vendôme. Kennen Sie eine Paulette Trousseau oder Pauline Trousseau?«
»Paulette Trousseau? Nein. Aber ich kenne eine Paula Trousseau.«
»Pauline Trousseau?«
»Sie heißt Paula Trousseau. Was ist mit ihr?«
»Sind Sie ihr Ehemann?«
»Nein, ich bin nicht ihr Ehemann.«
»Ihr Vater? Ihr Bruder?«
»Nein, ein Freund. Oder vielmehr, ich war ein Freund von ihr. Wir haben uns aus den Augen verloren. Ich weiß nicht, wie ich es auf Französisch ausdrücken soll. Ich habe sie jahrelang nicht gesehen, verstehen Sie? Ist etwas mit ihr passiert, Monsieur Commandant?«
»Können Sie mir Namen, Adresse oder Telefonnummer des Ehemanns von Paula Trousseau geben?«
»Nein. Ich weiß nur, sie war verheiratet, ist aber längst geschieden. Der Mann hieß oder heißt Trousseau. Wenn ich richtig gehört habe, lebt sie allein.«
»Können Sie mir einen Verwandten von Paula Trousseau nennen?«
»Sie hat einen Sohn. Ich glaube, er heißt Michael. Er müsste Anfang zwanzig sein, ich weiß nicht, wo man ihn auftreiben könnte. Und es gibt noch eine Tochter, etwas älter, aber mehr weiß ich nicht. Mit Paula hatte ich in der letzten Zeit keinen Kontakt. Es ist mindestens fünf Jahre her, dass ich sie gesehen habe.«
»Sie können mir keinen Namen
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