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Freddy - Fremde Orte - Blick

Freddy - Fremde Orte - Blick

Titel: Freddy - Fremde Orte - Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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hatte?
    Auf einmal wusste sich nicht mehr, was sie hier wollte. Die Konfirmation war ihr von Anfang an nicht wichtig gewesen, sie hatte sich nur ihrer Großmutter zuliebe darauf eingelassen. Konfirmationen gehörten zu den Formalien, die der alten Frau über alles gingen. Und jetzt saß sie nicht einmal auf der Bank.
    Was würde passieren? Würde ihre Mutter während der Einsegnung aufspringen und sie vor den versammelten Angehörigen beschimpfen? Oder würde es ihr reichen, einfach nur dazusitzen und mit ihrer stummen Anklage das Wenige kaputtzumachen, was diese Zeremonie ihrer Tochter überhaupt zu bieten hatte?
    Es hätte Sonja geholfen, wenn Miriam zu ihr herübergesehen und gefragt hätte, was mit ihr los sei. Doch ihre Freundin hatte die Lippen fest zusammengepresst und schien vollkommen auf sich selbst konzentriert. Stattdessen berührte das Mädchen rechts neben ihr Sonjas Schulter.
    „Geht dir nicht gut?“ Es war Julie, ein Mädchen, das vor etwas mehr als einem Jahr aus England hierhergezogen war und schon sehr ordentlich Deutsch sprach.
    „Danke“, lächelte Sonja. „Geht schon. Nur etwas aufgeregt.“
    „Tief atmen“, riet Julie und drückte ihre Hand.
    „Ja, das mach‘ ich. Danke.“
    Sonja dachte an Freddy, denn das war ihre persönliche Art, sich zu beruhigen, jahrelang erprobt. Keine Frage, dass sie ihn gerne bei sich gehabt hätte. Klar auch, dass das nicht ging, wenn sie sich nicht zum Gespött der Leute machen wollte. Sie hatte es allerdings nicht übers Herz gebracht, ihn zu Hause zurückzulassen. Er steckte in einer Tasche, die sie in der Teeküche im kleinen Kirchenanbau deponiert hatte. Auch andere Konfirmanden hatten Taschen mitgebracht, vorwiegend für Jacken und Schirme, denn der Himmel drohte mit Regen. Freddy war also da, rund zwanzig Meter von ihrem Sitzplatz entfernt, getrennt durch eine dicke Steinmauer.
    Die Ansprache des Pfarrers und die musikalischen Einlagen bekam sie kaum mit, von der Begrüßung und dem Eingangsgebet ganz zu schweigen. Sie sangen ein Kirchenlied und danach „Carry On Wayward Son“ von Kansas. Obwohl sie beide Stücke ausgiebig geübt hatten, fand kaum einer von ihnen recht in die Melodie hinein, und bei dem amerikanischen Rock-Song war die Beteiligung so dünn, dass man Onkel Werners Stimme heraushörte. Wenigstens war sein Englisch besser als das des Pfarrers.
    Die Minuten verflogen. Sonja war entsetzt, wie schnell sie auf die eigentliche Zeremonie zujagten. Eigentlich hatte sie sich innerlich darauf einstimmen wollen, doch sie konnte an nichts anderes denken als an ihre Mutter. War dieses Gefühl in ihrer Magengegend ein schlechtes Gewissen? Dieses merkwürdige Gefühl, etwas gegessen zu haben, was noch lebte und sich in ihrem Bauch ganz und gar nicht wohlfühlte? Gleich würden sie einen Text sprechen, eine Art Erläuterung zum Glaubensbekenntnis, jeder einen Teil davon, und Sonja konnte sich an ihren Abschnitt plötzlich nicht mehr erinnern.
    Auf ein Zeichen des Pfarrers standen sie auf. Alle im Saal standen, mit Ausnahme ihrer Mutter. Sonjas und Miriams Schultern berührten sich. Miriam wirkte hart wie ein Fels, womöglich noch verkrampfter als sie selbst. Irgendetwas stimmte nicht mit ihrer Freundin, aber was? Die letzten zwei Jahre im Konfirmandenunterricht hatte Miriam sich eifrig und interessiert gezeigt, mehr als alle anderen. In jedem Fall war sie eine gläubige Christin und schien der Feier geradezu entgegenzufiebern. Hatte sie zu hohe Erwartungen? Steigerte sie sich in etwas hinein?
    Der Junge ganz links sprach den ersten Teil, leierte seine Passage gefühllos herunter, nuschelte kaum hörbar etwas über die Taufe und den dreieinigen Gott, als trage er die Ergebnisse einer Rechenaufgabe vor. In jedem Satz blieb er einmal hängen. Ganz anders Miriam, die als Zweite an die Reihe kam. Sie hob das Gesicht, sprach laut, deutlich und fehlerlos, aber sehr rhythmisch und mit übertriebenen Betonungen, als stünde sie auf einer Theaterbühne. Der Kontrast zu dem Jungen vor ihr war so groß, dass unter den Anwesenden nervös gehustet wurde.
    Sonja war an der Reihe. In ihrem Kopf herrschte eine nebelweiße Leere. Der Pfarrer zögerte. Julie zu ihrer Rechten drückte ihr einen Spickzettel in die Hand, auf dem der gesamte Text stand, nicht nur ihr eigener, und Sonja nahm in an, senkte verstohlen den Kopf und suchte nach der Stelle, an der ihr Abschnitt begann. Fand ihn nicht.
    Die Stille war unheimlich.
    Und in diese Stille hinein gab es plötzlich ein

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