FreeBook Bis das Harz gefriert
der Pipibaum von der blöden Töle werden sollte, sie würde leben.
Meine Besitzerin zwängte sich ins Auto und ließ den Motor an. Aus dem Autoradio drang die Stimme eines Nachrichtensprechers: »Münster. Bisher gibt es keine Spur von dem Kettensägenmann, der seit letzter Woche umgeht und wahllos Nadelbäume zersägt. Zeugen haben ihn als korpulent und mit einem Weihnachtsmannkostüm verkleidet beschrieben.« Na, das waren ja Aussichten.
Wir trafen in einem Vorort von Münster ein, wo sie vor einem altrosa gestrichenen Holzhaus hielt. Sie öffnete die Eingangstür und rief ins Haus: »Horst, Schatzi, ich habe einen Baum mitgebracht, trägst du den bitte nach oben?«
Horst-Schatzi kam aus der Tür geschlurft, sah mich und maulte: »Warum denn mit Ballen?«
Er war mir sofort unsympathisch. Moni, das war meine neue Besitzerin, stieg wieder in das Auto und rief ihm zu: »Ich hole mal eben die Kinder ab.« Horst-Schatzi schleifte mich die Treppe hinauf und auf den Balkon hinaus.
»So«, sagte er und stopfte meinen Ballen mit Netz in einen Plastikeimer.
Da stand ich nun.
»Tom?«
Ich schrak zusammen, wer wusste hier meinen Namen? Die Stimme hatte schwach, ja sterbend geklungen und kam von links. Dann sah ich im Nachbargarten etwas Grotesk-Schreckliches: »Lars?!«, antwortete ich verdutzt. Tatsächlich: Lars, der Blödmann, das arme Schwein, den der Henker mit der Axt verstümmelt hatte. Er stand auf der Terrasse und hatte nur noch die Hälfte seiner Nadeln. Jemand hatte ihn mit einer farbigen Lichterkette geschmückt, die fröhlich vor sich hin blinkte.
»Hey, Lars, alles frisch?«, rief ich munter.
»Arschloch!«, kam es von unten schwach zurück. Da raschelte es in dem verschneiten Gebüsch auf dem Nachbargrundstück. Ein Reh? Nein, kein Reh, die trugen keine roten Kostüme. Und hatten keine Motorsäge bei sich.
Der Mörder kam direkt auf Lars zu. Im Nachbarhaus war kein Licht, also war wohl niemand zu Hause. Horst-Schatzi sah fern und war auch keine Hilfe. Lars schrie auf, als der Dicke die Motorsäge anwarf. Die Lichterkette erlosch schlagartig, als sich die Säge mit wütendem Heulen durch das Kabel fraß. Der Geruch frischen Harzes, das auf den Boden gespritzt war, drang zu mir hoch.
Horst-Schatzi kam jetzt doch noch an, um zu sehen, wer da so einen Lärm machte.
Der Tannenmeuchler war wieder verschwunden. Horst-Schatzi sah in Nachbars Garten, dann zuckte er die Schultern und ging wieder ins Wohnzimmer. War der Typ blind?
Eine Stunde später bekam ich mit, wie Moni und die Kinder die Badezimmertür öffneten und etwas aus einem großen, wassergefüllten Plastiksack in die Badewanne kippten und die Wanne bis zur Hälfte mit Wasser füllten.
Dann kam Horst ins Badezimmer. Nicht gut.
Moni und die Kinder hatten noch eingekauft und in dem Laden einen Silvesterkarpfen in einem Aquarium entdeckt. Die Kinder wollten den Fisch unbedingt kaufen, um ihn davor zu bewahren, Silvester in der Bratröhre zu landen.
Und so war Marlon (Moni fand, dass der Fisch aussah wie ein Schauspieler aus einem Gangsterfilm) in der Badewanne der Familie gelandet. Horst-Schatzi wurde sauer, als er hörte, dass er jetzt einen Fisch in der Badewanne hatte, für den seine Frau fünfundzwanzig Euro bezahlt hatte, den er aber nicht essen durfte. Ich glaube, etwas nicht essen zu dürfen war für ihn eine schlimme Sache.
Man beschloss, den Karpfen Silvester doch zu servieren und den Kindern zu sagen, er sei an Altersschwäche gestorben. Niederträchtig.
In dieser Nacht hatte ich Angst. Um Romina. Wer wusste, wen sich der Kettensägenmann als nächstes Opfer ausgesucht hatte?
Heiligabend
Am Morgen des Heiligen Abends hantierte Horst-Schatzi im Wohnzimmer und legte die Ecke neben dem Kamin mit einem grünen Plastikrasenteppich aus. Ich folgerte messerscharf, dass jetzt wohl der große Moment gekommen war: Ich durfte rein. Horst schleppte mich unsanft an meinen neuen Platz und installierte fluchend eine elektrische Lichterkette. Als Nächstes bewarf er mich wahllos mit Weihnachtsdekoration. So was sollten doch eigentlich die Kinder machen, oder? Dann fuhr die Familie zu Oma und Opa, und ich war fast alleine im Haus. Nur Marlon plätscherte noch im Badezimmer vor sich hin.
Der Abend brach herein, und es war dunkel im Wohnzimmer, nur durch das große Balkonfenster schien das Licht des Vollmonds.
Klong! Ein Geräusch aus dem Kamin rechts von mir. Dann staubte es, und ein Bein schob sich aus dem Kamin. Ein Bein in einem schwarzen
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