FreeBook Bis das Harz gefriert
Stiefel, dann ein dicker Bauch und ein weißer Bart mit Mütze. Hilfe, das war der Kettensägenmann! In dem Sack, den er mit sich schleifte, war garantiert die Säge. Doch er ignorierte mich und bewegte sich auf den Wohnzimmerschrank zu. Dort öffnete er die Vitrine, holte eine Flasche Whisky heraus und steckte sie sich zwischen seinen Vollbart. Eine Minute später war die Pulle leer und der Weihnachtsmann voll.
»Verdammt, ein Weihnachtsmann, der säuft«, sagte ich.
»Verdammt, ein Weihnachtsbaum, der spricht«, lallte er.
Wir kamen ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass er ein Alkoholproblem hatte und deswegen seinen Job als Weihnachtsmann verloren hatte. Statt mit seinem Rentierschlitten flog er zurzeit illegalerweise auf einem Maultier durch die Gegend, und da er den Kamintrick noch draufhatte, kam er an die Schnapsvorräte in jedem Haus. Er war deprimiert, und jetzt, wo ich sein Geheimnis kannte, schämte er sich gewaltig. Irgendwie tat er mir leid. Andererseits … Wir machten einen Deal. Ich würde ihn nicht verpetzen, dafür würde er etwas für mich tun.
Als er wieder durch den Kamin verschwunden war, hörte ich eine leise Stimme: »Will raus. Mag nicht mehr eingesperrt sein.«
Wer war das jetzt? Ein leises Begleitplätschern verriet, wer da sprach: Marlon, der Silvesterkarpfen. Wieso konnte ich den jetzt hören?
»He, Fisch, stell dich nicht so an, du kannst dich wenigstens bewegen.«
»Ich will nicht mehr leben! Die wollen mich Silvester essen, hast du das nicht mitgekriegt?«
»Ja, klar, hab ich, aber jetzt habe ich einen Plan: Ich werde dich retten. Und mich auch. Pass auf …« Dann machte ich ihm klar, dass er Silvester in Freiheit verbringen würde.
Gegen neunzehn Uhr kam die Familie zurück, und Horst schaltete den Fernseher ein. Dann gingen alle die Geschenke holen. Lokalnachrichten: »Münster. Der Kettensägenmann hat wieder zugeschlagen und heute Nacht den zwölf Meter hohen Weihnachtsbaum vor dem Münsteraner Dom mit einer Motorsäge zerstückelt. Wieder trug der Täter laut Zeugen ein Weihnachtsmannkostüm. Die Polizei bittet um weitere sachdienliche Hinweise.«
Der Dom? Der war nur zwei Häuser von Rominas neuer Heimat entfernt! Ich musste dort hin. Es war gerade keiner in der Nähe, und ich stieg aus dem Topf; das war der Deal mit dem Weihnachtsmann: Ich konnte laufen!
Ich sprintete die Treppe hinunter, zur Tür hinaus und schlich ungesehen zur nächstgelegenen Bushaltestelle.
Der Bus war fast leer, ich schlüpfte hinten hinein. Niemand störte sich an einem alleinstehenden Weihnachtsbaum im Bus. Ignoranten, aber mein Glück. Ich stieg am Prinzipalmarkt aus.
Dann pirschte ich hinter den Hütten des Weihnachtsmarktes an der Lambertikirche weiter. Weil heute Heiligabend war, waren nicht viele Leute unterwegs, und ich kam unentdeckt zur Mauritzstraße 12. Durch die Terrassentür im Garten konnte ich sehen, dass Romina im Erdgeschoss des Hauses im Wohnzimmer stand.
Ich drückte die Tür ein Stück weit auf und flüsterte: »Romina! Geht es dir gut?«
»Tom, geh nicht weiter, hau ab!« Das war Rominas Stimme, kaum mehr als ein entsetztes Flüstern.
»Was ist los? Was haben sie dir angetan?«, stammelte ich und kam noch näher.
»Tom. Der Kettensägenmann …«
»Ja, Liebes, ich weiß, deswegen bin ich ja hier, er wird dir nichts tun.«
»Er ist direkt hinter dir!«, schrie sie auf, und ich wirbelte herum.
Während der Kettensägenkiller die Treppe herunterkam und am Anlasserseil seiner Motorsäge riss, erkannte ich ihn: Er hatte eine Zigarette im Mundwinkel und grinste mich schief an. Es war der Henker.
Er schien mich auch wiederzuerkennen und kam mit der brüllenden Säge direkt auf mich zu. Dass ich mich bewegen konnte, schien ihn nicht zu beeindrucken. Gleichzeitig ging im Obergeschoss das Licht an.
Noch gleichzeitiger löste sich aus einem Knäuel Geschenkpakete ein felliges Bündel, das mit der Geschwindigkeit einer Kanonenkugel auf den Henker zusteuerte. Tuffi, der tollkühne Hund, sprang ab und versenkte seine winzigen Zähne beim Henker dort, wo es offensichtlich am meisten weh tat. Währenddessen war ich dabei, Romina aus ihrem Topf zu heben.
»Warte, Liebster, das kann ich selbst«, sagte sie und stieg aus dem Topf. Jetzt war nicht die Zeit für Fragen, und wir rannten gemeinsam zur Tür.
Von oben gab es Tumult: »Wer ist da? Ich schieß dich übern Haufen!« Dann erschienen der Schleimer und seine Freundin. Der Schleimer hatte eine sehr große
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