FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
anschließend im Flusswasser aus.
Plötzlich war es still geworden. Fast totenstill. Rosa blickte auf. Michi stand wie erstarrt am Ufer, Mund und Augen weit aufgerissen. Von Conrad dagegen keine Spur. Ihre Gedanken rasten. War der Junge etwa in eine Untiefe geraten und untergegangen? Aber warum tauchte er nicht wieder schreiend und prustend auf, wie dies bei Ertrinkenden sonst immer geschah? Warum trieb er nicht mit der Strömung den Fluss hinunter?
Keine Zeit für Grübeleien! Rosa stürzte zu Michi hinüber, riss sich im Laufen die Schürze vom Leib, streifte das Oberkleid ab und sprang in den Fluss. Das eiskalte Wasser raubte ihr fast den Atem. Sie tauchte und suchte in den trüben Fluten nach dem Jungen. Nichts. Sie holte kurz Atem und verschwand wieder in der Tiefe. Doch halt, da war etwas!
Rosa holte erneut tief Luft und schwamm mit kräftigen Zügen gegen die Strömung zu der Stelle, wo sie den Jungen vermutete. Tatsächlich, es war Conrad! Mit schreckgeweiteten Augen und offenen Mund hing der Junge am Grund des Flusses fest. Sein Fuß war zwischen zwei mächtigen Steinen eingeklemmt.
Rosa tauchte hinunter, zerrte mit aller Kraft am Bein des Ertrunkenen, bekam ihn endlich frei und schwamm mit ihm zur Oberfläche zurück. Keuchend zog sie den Jungen ans Ufer, drehte ihn auf den Bauch, hob ihn an der Hüfte hoch und schüttelte ihn. Ein Schwall Wasser kam aus seinem Mund. Dann würgte und hustete er.
Behutsam setzte Rosa den Jungen ins Gras und strich ihm beruhigend über den Rücken.
»Alles ist wieder gut, Conrad, alles ist gut. Du bist nicht ertrunken, sondern hast nur viel Wasser geschluckt. Aber jetzt ist alles vorbei.«
Der Junge bekam wieder einen Hustenanfall. Rosa klopfte ihm auf den Rücken. Conrad beruhigte sich, weinte jedoch still vor sich hin.
»Du solltest unbedingt schwimmen lernen, Conrad. Sag das deinem Vater. Dein Bruder Daniel ist doch schon zwölf Jahre alt und kann sicherlich schwimmen. Der soll es dir beibringen. Bis dahin spielst du besser nicht am Fluss.«
Sie untersuchte den Knöchel des Jungen. Die Schrammen würden schnell verheilen. Einige Tage würde er sicherlich noch stechende Schmerzen im Fußgelenk haben, aber auch diese würden bald vergehen.
Plötzlich tauchte ein Bild vor ihrem inneren Auge auf. Unter Wasser hatte sie eine Person gesehen, und es war nicht Conrad gewesen! Den hatte sie danach eher zufällig gefunden, Gott sei Dank!
Sie blickte auf Michi, der immer noch wie versteinert vor ihnen stand.
»Michi, lauf zum Büttel am Stadttor. Sag ihm, er muss schnellstens zum Ufer kommen! Danach läufst du sofort zu Stadtschreiber Friese und sagst ihm, dass er seinen Sohn hier abholen soll. – Michi?«
Der Junge reagierte nicht. Er stand immer noch unter Schock. Rosa erhob sich und gab ihm eine Backpfeife. Der Junge schreckte hoch.
»Los, lauf zum Büttel und schick ihn hierher. Und dann sag den Frieses Bescheid.«
Verängstigt lief der Junge davon.
»Nicht den Büttel und meinen Vater«, jammerte Conrad.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, beruhigte ihn Rosa und strich ihm übers Haar. »Der Büttel soll nicht wegen dir kommen.«
»Nicht wegen mir?«
»Nein, es geht um etwas anderes. Es hat nichts mit dir zu tun. Aber dein Vater muss dich hier abholen, denn mit deinem Fuß wirst du nicht bis nach Hause laufen können.«
Inzwischen war der Knöchel des Jungen angeschwollen. Wahrscheinlich würde er in den nächsten Stunden noch dicker werden und blau anlaufen.
»Lass dir von deiner Mutter Wickel mit Tonerde und Essig machen, damit die Schwellung schneller abklingt.«
Der Junge nickte stumm.
Plötzlich merkte Rosa, wie sie vor Kälte zitterte. Die Märzsonne wärmte noch nicht, und das nasse Unterkleid ließ sie frieren. Außerdem würde gleich der Büttel hier auftauchen und sie vermutlich nur gierig anstarren, wenn er sie so sehen würde. Eilig suchte sie ihre Sachen zusammen, streifte das Unterkleid ab und schlüpfte in ihr Wollkleid. Danach band sie sich auch ihre Schürze wieder um und versuchte ihre zerzausten Haare zu ordnen.
Vor dem Herrn Stadtschreiber wollte sie sich nicht durch unordentliches Aussehen erniedrigen. Die Frieses trugen die Nase sowieso ziemlich hoch, und Gerber gehörten für sie zur Unterschicht, nicht viel höher als die unehrlichen Berufe wie Henker, Gassenkehrer, Totengräber oder Kesselflicker. Dass die lohgerbersche Münkoff ihrem Conrad das Leben gerettet hatte, war ihnen sicherlich mehr als unangenehm. Es war ein Makel,
Weitere Kostenlose Bücher