Freiheit fuer Mama
100-prozentig, wie das passieren konnte. Ich meine natürlich nicht die Empfängnis selbst. Ich bin ja aufgeklärt worden. Ich meine den Sinneswandel. Ben und ich waren schon ein paar Jahre zusammen. Um uns herum hagelte es erst einmal Hochzeiten und dann auch bald Kinder. Freundlich stattete ich meinen Freundinnen einen Geburtsantrittsbesuch ab, nahm auch mal das Baby auf den Arm und bewunderte dessen blaue Augen, das Gesicht mit der kleinen Nase, die Hände und die gebogenen Füße. Dennoch sprang der Funke nicht so richtig über. Ehrlich gesagt: Ich war immer froh, wenn ich da wieder raus und in mein Leben zurück konnte.
Ein bisschen Interesse meldete sich, als ich Patentante wurde. Mein Patensohn hatte kleine rote Ringellocken, saß wie Buddha in seinem Buggy und: Er schrie nicht. Er weinte auch nicht und wirkte überhaupt sehr entspannt. Und er schien auch nichts von mir zu erwarten. Ich machte weder »Bubu« noch »Baba« – und er grinste trotzdem. Wenn mal ein Kind, dann so eins, sagte ich nach der Taufe zu Ben.
Doch dann dauerte es noch drei Jahre, bis Paul kam. Erst hatten wir keine Lust auf ein Kind. Wir wollten zunächst top im Job sein, später könnte ein Kind kommen. Heutzutage musst du ja erst einmal beruflich richtig Fuß fassen, sonst kannst du als Frau den Wiedereinstieg komplett vergessen. Außerdem hatten wir beide gerne unsere Ruhe. Jeder war ganz gerne für sich, las und machte seinen Sport oder traf die eigenen Freunde. Wir waren auch gerne zu zweit, lasen dieselben Bücher und diskutierten darüber oder trafen uns zum Kochen mit Freunden. Dieser Lebensstil brauchte aber viel Raum – für ein Baby, das dich Tag und Nacht auf Trab hält, war da kein Platz.
Ja, und dann, als wir uns ein Kind vorstellen konnten, setzten wir das Projekt immer noch nicht gleich in die Tat um. Irgendwie war alles andere wichtiger. Wir beide waren beruflich stark eingespannt. Zehn Stunden täglich im Job, das war keine Seltenheit. Auch am Wochenende wurde oft gearbeitet.
Schließlich aber kam eine Zeit, da prickelte der Job nicht mehr so. Ja, er machte durchaus noch Spaß. Ein wenig Spaß jedenfalls. Aber ich dachte immer öfter: An sich läuft so ein Arbeitstag ja immer ähnlich fad ab. Die Inhalte ändern sich nur wenig. Und du merkst: Überall wird nur mit Wasser gekocht. Ob du dich aufreibst oder nicht, ob du eine gute Story schreibst oder nicht, die Welt dreht sich weiter und das Gehalt steigt auch nicht. Soll das jetzt die nächsten Jahre so weitergehen? Dass wir uns im Job tot machen? Es muss im Leben doch noch etwas anderes geben, etwas, das dich wirklich ausfüllt, das sich gut anfühlt und näher dran ist am Leben als das neue Auto oder die Gehaltserhöhung. Diese Gedanken flatterten immer häufiger durch mein Hirn. Und da war irgendwo auch das Bild vom niedlichen rot gelockten kleinen Buddha.
Da haben wir gedacht: Wir trauen uns. Und planten Paul.
18 Stunden hat mich Paul gequält, aber sauer bin ich nicht
Eigentlich müsste ich sauer auf Paul sein. Die endlosen Stunden, bis er sich in die Welt bequemte, waren der reinste Horror. Fast 18 Stunden habe ich mich herumgequält. Ich wanderte mit Wehenschmerzen, die mir glatt die Schuhe auszogen, stundenlang durchs Krankenhaus, treppauf, treppab. Man hatte uns gesagt, dass das die Geburt voranbringen sollte. Ich schlurfte an anderen Personen in Bademänteln und Hausschuhen vorbei, die sich neugierig die blasse dicke Frau ansahen, die sich alle paar Minuten irgendwo festhielt und mit schmerzverzerrtem Gesicht krümmte und laut vor sich hin atmete. Als ich das nicht mehr ertragen konnte – also sowohl das Rumlaufen als auch das Angestarrtwerden –, wuchtete ich mich auf das mir zugewiesene Bett und machte den Maikäfer. Das ist so in etwa das Schlimmste, was du als Gebärende machen kannst – passiv auf dem Bett herumliegen und nichts zur Geburt beitragen. Denn dann dauert alles nur noch länger. Das weiß man als werdende Mutter auch, ja, man lernt es gleich als Erstes im Geburtsvorbereitungskurs. Aber es gibt einen Punkt, an dem geht nichts mehr. 16 Stunden Megabauchschmerzen sind einfach genug.
Ein bisschen ausruhen, mehr wollte ich ja gar nicht. Doch ans Ausruhen war nicht zu denken. Als ich endlich ermattet in den Kissen lag, schmiss sich ohne Vorwarnung ein Kerl im weißen Kittel auf mich – es war der Arzt, der sich in den Kopf gesetzt hatte, mein Kind herauszudrücken. So ähnlich muss es sich anfühlen, wenn man unter die Räder kommt und
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