Freiwild
Ruhe geben? Du hast mein Wort, es wird nichts mehr passieren. Glaubst du mir nicht?“. Ich wusste, dass ich ihn mit meiner Bohrerei wütend gemacht hatte und es tat mir Leid. Schließlich hatte er sich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, damit ich meine Ruhe hätte. Besänftigend sprach ich: „Doch, ich glaube dir doch. Es ist nur... ach, ich weiß auch nicht. Es beunruhigt mich halt, dass du so gar nichts erzählen magst.“ Entschuldigend schaute ich ihn an. „Das macht mich nervös“, fügte ich leiser hinzu. Ralf hatte sich an meinen Schreibtisch gesetzt und ich legte ihm die Hände auf die Schultern. „Tut mir Leid, wenn ich dich verärgert habe. Aber kannst du auch verstehen, wie es mir dabei geht?“ Ralf nickte. „Doch, kann ich. Aber es gibt ungeschriebene Gesetze zwischen Soldaten, die es mir unmöglich machen, dir davon zu erzählen. Sagen wir so: dieser Ehrenkodex verbietet es Patrick, weiter nach dir zu jagen. Wenn er es doch tut, kommt er in Teufels Küche. Und dann werde ich auch seine Frau benachrichtigen. Ich bin nicht gerade stolz drauf, ihn damit erpresst zu haben. Okay?“. Ich gab nach: „Okay.“ Es hatte ja doch keinen Sinn, ihn auf Teufel komm raus wütend zu machen. Ich musste Geduld haben, so wie er es auch hatte mit mir. Sanft rieb ich meine Nase an seinem Nacken. Ich mochte mich nicht mit ihm streiten. Die kurzen, weichen Härchen kitzelten mich, aber es war eine gute Stelle, um seinen Geruch zu inhalieren. Tief zog ich die Luft durch die Nase ein, nur um so viel davon wie möglich einzuatmen. Ralf knickte ruckartig den Kopf nach hinten und klemmte so meine Nase ein. „Hey, das kitzelt!“. „Ist mir doch egal!“, gab ich zurück, „Dann musst du eben an einer anderen Stelle deines Körpers so gut riechen, wenn ich im Nacken nicht schnuppern darf!“ Ralf grinste: „Na, da wüsste ich schon so einige Stellen an mir, wo du es versuchen könntest!“
Aber es blieb nicht die Zeit dazu, dieses Thema zu vertiefen. Ralf war zu den Neujahrsfeierlichkeiten eingeladen, und ich wollte dort fotografieren. Weihnachten war spurlos an uns vorüber gegangen, wir beide hatten Heilig Abend nicht einmal bemerkt. Es war ein Tag wie jeder andere gewesen. Nur eine kleine geschmückte Tanne erinnerte in der Mannschaftsmesse daran, welche Jahreszeit wir hatten. Also machten wir uns beide fertig. Ralf sah schick aus in seinem Anzug; graues Jackett zur schwarzen Hose, sämtliche Orden und Abzeichen darauf. Seine goldene Schützenschnur hing um seine Schulter. Dazu das rote Barett auf den schwarzen Haaren. Ein so ganz anderer Eindruck als der Feldanzug mit seinem Tarnfleckmuster. Da das ein hochoffizieller Termin war, machte ich mich auch zurecht. Für solche Fälle besaß ich ein eng anliegendes, schwarzes Stretchkleid mit schmalen Trägern. Dazu trug ich schwarze Highheels. Die Haare, die ich sonst zu einem Pferdeschwanz gebunden trug, steckte ich mir hoch und legte ein wenig Makeup auf. Sonst lief ich meist in praktischen und alltagstauglichen Klamotten rum, und so war es auch ein völlig neuer Eindruck von mir, den Ralf da bekam. Er starrte mich erstaunt an: „Bist du das, Anne? Ich erkenne dich ja kaum wieder! Wow!“. Verlegen strich ich mir den Rock glatt. Ich kam mir unsicher vor, so viel Haut zu zeigen. Schnell band ich mir eines der schwarzen Seidentücher, die mir Ralf geschenkt hatte, um den Hals. Besser. Ich schnappte mir meine Kamera und lächelte Ralf an: „Können wir?“. Er nickte; immer noch erstaunt darüber, wie sehr ich mich verändern konnte. Die Frau, die er jetzt am Arm hatte, erinnerte nicht im Geringsten an das Mädchen in Jeans und Turnschuhen, das ich sonst war.
Kapitel 18
Der Empfang fand in einem festlich geschmückten Raum statt, der von der italienischen Armee zur Verfügung gestellt wurde. Alle wichtigen Offiziere und Unteroffiziere der SFOR waren anwesend und der Saal war bis auf den letzten Quadratmeter voll mit Menschen. Es begann mit einem Umtrunk; der italienische General, ein charismatischer Mann von ungefähr sechzig Jahren, hielt die erste Ansprache. Da an diesem Abend mehr geredet wurde, als dass tatsächlich etwas passierte, hatte ich zwischen den einzelnen Fotos viel Zeit und stand mit meinem Sektglas etwas abseits herum. Ralf war nicht zu sehen. Als einzige Frau im ganzen Raum fühlte ich mich wie ein Außenseiter. Aber eigentlich war es ja auch so. Ich war nicht nur die einzige Frau, ich war auch die einzige, die nicht in Uniform erschienen war.
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