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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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inzwischen war das Säugen durch die Männer schon ein so bestimmender, integraler Faktor ihrer Kultur geworden, daß sie diesen Teil nicht herausreißen konnten, ohne den Rest ebenfalls zu zerstören.«
    »Ich weiß nicht.« Farber spielte mit seinem Glas und setzte es dann ab. »Mir erscheint das alles ziemlich kompliziert, oder?«
    »Das ist es auch«, meinte Ferri. »Das ist die eine Theorie. Hier ist noch eine: Die Cian haben diese Veränderungen in ihrem Biosystem bewußt vorgenommen, und zwar in historischen Zeiten. Es handelt sich um eine sehr stabile Kultur, Joe, die beinahe statisch ist. Nach allem, was ich beobachtet habe, möchte ich behaupten, daß sie schon mindestens seit dreitausend Jahren eine höher entwickelte biologische Technologie haben wie wir. Eine lange Zeit, nicht wahr? Irgendwann in diesen dreitausend Jahren haben sie ihre Fähigkeit entdeckt. Sie ›fummelten‹ an sich herum, um deinen Ausdruck zu benutzen. Die Fähigkeit der Männer, Milch zu geben, ist so verdammt kompliziert und ausgefeilt, daß man es leichter erklären könnte, wenn es ein bewußter Akt genetischer Manipulation wäre, als sich vorzustellen, daß ein so kompliziertes System sich natürlich herausgebildet haben könnte. Sie haben es also selbst gemacht. Warum? Jesus Christus, ich weiß es nicht! Aber die Gedanken der Schattenaristokraten sind so unergründlich und dunkel für uns – wer weiß, warum sie das alles machen? Es sind Fremde. Stimmt’s? Was wissen wir wirklich über ihre Art, über ihre Lebensziele, welche Motive hinter ihrem Handeln stehen, was wovon diktiert wird? Nichts.«
    Ferri stand und mixte sich noch ein großes Glas. Seine Bewegungen wirkten ein wenig unsicher – er wurde rasch betrunken. »Das ist also meine zweite Theorie«, sagte er zu Farber. »Ich mag sie nicht so sehr wie die erste, aber ich muß zugeben, daß Occams Rasiermesser sie vorzieht. Vergiß nicht, daß das Messer oft nicht schneidet, wenn es auf wirkliche Situationen trifft.« Er lachte über seinen eigenen Witz, trank seinen Drink aus und mixte einen neuen. Farber wollte nicht mehr. Ferri umklammerte vorsichtig sein Glas und kehrte an seinen Platz zurück.
    Einen Moment lang saßen die beiden Männer schweigend da. Ferris Gesicht hatte einen faltigen Ausdruck angenommen, als schmecke er etwas Faules. Es war deutlich, daß seine manische Begeisterung unter dem Einfluß von Erschöpfung und Whisky dahinschmolz. Er grinste Farber schief an. »Zwei Theorien, und keine von beiden reicht, um die unheimlichen Züge in dieser Gesellschaft wirklich abzudecken. Verdammt, ich kann mir noch ein Dutzend andere ausdenken, wenn du willst. Was soll ich denn sonst auch tun in diesem Vakuum, als hier zu sitzen und mir selber Märchen zu erzählen?« Er nahm einen wilden Schluck aus seinem Glas. »Wenn ich doch nur ein weibliches Exemplar bekommen könnte, mit dem ich arbeiten könnte, wenn ich sie hier auf dem Tisch hätte und sie aufschneiden könnte. Dann könnte ich es vielleicht herausfinden. Aber ein Weibchen lassen sie mich nicht aufschlitzen – das ist ein solches Sakrileg, daß sie schon entsetzt zischen, wenn man es nur andeutet.«
    Farber beobachtete ihn schweigend. Wissenschaftliche Objektivität war ja ganz schön, aber, verdammt, dieser Mann wußte um Farbers Situation, und es mußte da noch etwas wie Taktgefühl geben! In Farbers Kopf setzte sich hartnäckig das Bild fest, wie Liraun zerpflückt und auseinandergenommen auf dem Rollbett lag, vom Fuß bis zum Schädelbein aufgemeißelt, um Ferris Neugier zu befriedigen. Farbers Kinnmuskeln verspannten sich.
    »Hilft dir das hier eigentlich?« fragte er mit belegter, rauher Stimme und pochte auf das Telemeter an seinem Handgelenk.
    »Hilft mir verdammt«, brummte Ferri. Er ging hinüber zur Bar, kam mit einem Atomiseur für Narkosen zurück, preßte ihn sich auf die Nase und atmete mehrere Male tief ein. Als er wieder sprach, klang seine Stimme hoch und entrückt verträumt, als sei er irgendwohin gegangen und habe seinen Körper mit einem Autopiloten zurückgelassen, der sich mit Farber beschäftigen mußte. »Es lenkt mich ab. Es tut mir so gut,« sagte er mit der neuen, gleichgültigen Stimme, wedelte mechanisch mit dem Arm, sah aus wie ein Roboter, der auf gefühlsmäßigen Aufruhr programmiert ist. Er taumelte zurück zu seinem Sessel, mit langsamen Schritten wie ein Astronaut bei niedriger Schwerkraft, und bot Farber den Atomiseur an. Farber lehnte ab mit einem plötzlichen

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