Fremde
heiß, und sie zog sich in einen der oberen Räume zurück, die immer noch gegen Abend frostig wurden. Sie verbrachte sowieso einen Gutteil ihrer Zeit dort. Ihre Schwangerschaft nahm sie ganz ein. Sie war im fünften Monat, und cianische Frauen trugen normalerweise nur sechs Monate. Ihr Bauch war kaum dicker geworden, doch plötzlich war sie nachdenklich und schwach geworden. Sie bewegte sich schwerfällig und langsam, als sei ihr Bauch ein Sack voll Wasser, und sie fürchte, er platze auf und würde auslaufen. Und irgendwie war es auch so. Sie folgte immer noch den Rufen zum Rat, aber wenn sie dann nach Hause kam, gab es keine Ausflüge mehr ins Sumpfgebiet, kein anstrengendes Schwimmen im Eis, keine Spaziergänge durch Aei. Sie saß statt dessen in den oberen Räumen, manchmal stundenlang, und starrte durch das offene Fenster auf die hügeligen Winterstraßen der Altstadt. Wieder versank sie in ihre alte Melancholie.
Dieses Mal war die Stimmung stärker und schien gänzlich von ihr Besitz ergriffen zu haben. Sie sprach nur wenig. Sie lachte nicht mehr.
Ihr Gesicht wirkte zurückgezogen, und sie sah bleich aus, als habe sie ständig Schmerzen.
Farber dachte, daß die Schwangerschaft bei den meisten gesunden anderen Frauen keine so behindernde, beherrschende Angelegenheit sei, und das machte ihm Sorgen. Aber das waren schließlich auch terranische Frauen. Wer verstand die Einzelheiten der cianischen Psyche? Wer wußte, was auf einen zukam? Keiner von Lirauns Verwandten schien besorgt zu sein, und Farber fand, er habe keine andere Wahl, als ihre Haltung zu der Situation zu akzeptieren. Liraun selber machte sich keine Sorgen, wenn sie auch zutiefst traurig war. Wann immer er sie fragte, versicherte sie ihm jedesmal, alles sei in Ordnung. Das waren ungefähr die einzigen Worte, die er ihr entlocken konnte – jeden Tag wurde sie einsilbiger. Aber nun war es Liraun, die nachts schreiend aufwachte und darauf angewiesen war, daß man sie festhielt und tröstete. Sie sagte nicht, warum. Sie schämte sich dafür, weigerte sich, darüber zu reden und neigte dazu, so zu tun, als sei es gar nicht passiert. Es geschah aber. Und wenn es passierte, klammerte sie sich verzweifelt an Farber, als könne sie ihrer beider Körper miteinander verschmelzen, wenn sie ihn nur fest genug an sich drückte.
An einem Nachmittag ging Farber auf dem Weg von der Arbeit nach Hause bei Ferri vorbei. Der Ethnologe schien entzückt, ihn zu sehen. Farber hatte ihn noch niemals so angeregt gesehen, so vor Energie platzend und gutgelaunt. Ferris Augen waren lebendig und funkelten, und sein langes, pferdeähnliches Gesicht strahlte. Seine Arme waren bis zu den Ellenbogen hinauf blutbefleckt, und er grinste wie ein ruchloser Mörder einen Augenblick nach seiner Tat.
Farber starrte ihn an. Ferri konnte nicht einmal still stehen. Ständig verlagerte er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und vollführte unbewußt einen kleinen Freudentanz. Heftig zappelnd erklärte Ferri, daß es ihm nach Monaten komplexer und vorsichtiger Verhandlungen endlich gelungen sei, die Leiche eines männlichen Cian zur Obduktion zu bekommen.
»Du mußt dir das ansehen!« rief er. »Ich habe Sachen gefunden! Heute habe ich mehr gelernt als sonst in einem Jahr.« Enthusiastisch umklammerte er Farbers Arm und begann, ihn in den hinteren Teil des Apartments zu zerren. »Das mußt du dir ansehen!«
Zögernd ließ sich Farber weiterziehen.
Der lange Flur zur Küche war zum Sektionsraum voller Lampen und Maschinen umfunktioniert worden, ein verheddertes Netz von Verlängerungskabeln wand sich über den Boden. Es roch stark nach Blut und Formaldehyd. An der Wand stand ein Rollbett, das als Operationstisch diente. Darauf lag ein flaches Ding, das kaum noch Ähnlichkeit mit einem Menschen oder auch nur einem Humanoiden besaß. Ferri nahm ein Skalpell und kratzte an der Haut. »Siehst du? Hier gibt es eine besondere subkutane Schicht von dickem Fett. Anpassung an die Kälte natürlich. Aber es hängt noch mit anderem zusammen, glaube ich. Richtiges Haar gibt es nur auf dem Kopf, an der Scham und unter den Armen. Dieses andere Zeug hier unten ist in Wirklichkeit ein feines Fell aus sehr fein gewirkten Fasern – und die sind wasserabstoßend wie Entenfedern. Sieh dir die Muskulatur an. Und die Knochenstruktur in den Beinen. Die Bauchleisten sind nicht ganz so hoch wie beim Menschen. Die Hüftknochen sind nicht ganz so abgeflacht und die Hüften selber etwas länger und
Weitere Kostenlose Bücher