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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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schmaler. Die Schultern sind schmaler, die Brust ist weniger rund. Siehst du? Die Oberarme sind etwas kürzer. Alles winzige Kleinigkeiten, aber zusammengenommen könnten sie signifikant sein. Und die Füße sind nicht so breit und keulenartig wie unsere, bieten keine so gute Basis, um Gewichte tragen zu können. Ich wette, die Cian haben eine Menge Probleme mit den Füßen! Und hier! Hier ist überhaupt das Interessanteste – ich habe Überreste eines inneren Augenlids gefunden, ein transparentes, wäßrig-gefülltes Lid. Atrophiert, natürlich, aber vorhanden.«
    Farber zuckte die Achseln. »Und was bedeutet das?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Ferri. »Ich vermute, genau werden wir es nie herausbekommen. Aber ich träume schon den ganzen Tag über unausgegorene Theorien. So wie ich das verstehe, heißt es, daß sich die Cian aus Wassersäugetieren oder Amphibien entwickelten, und das vor bemerkenswert kurzer Zeit. Im geologischen Sinne natürlich nicht. Die Wasserschicht, diese wasserabstoßende Hülle, das Augenlid – alles deutet darauf hin. Wenn sie nicht als Landsäuger angefangen haben, dann hatten sie nicht soviel Zeit wie der Homo sapiens, den aufrechten Gang zu erlernen. Die Muskulatur, die Knochenstruktur, die Hüften. Am meisten die Füße. Natürlich ist das alles Spekulation. Ich habe noch ein anderes Exemplar auf Eis. Und morgen gehe ich alles mit dem medizinischen Computer im Krankenhaus der Co-Op durch und suche nach Bestätigungen oder Beweisen.«
    »Interessant«, meinte Farber mit gleichgültiger Stimme. Er war wirklich nicht daran interessiert. In dem Flur war es heiß und eng, und der Gestank des Todes war überwältigend. Er hoffte, Ferri würde sein Lieblingsthema nun beiseite lassen und mit ihm zurück ins Wohnzimmer gehen.
    Ferri blickte Farber fragend an. »Du scheinst nicht sonderlich beeindruckt zu sein, stimmt’s?«
    Farber zuckte die Achseln. »Es ist interessant. Aber erwarte nicht von mir, daß ich herumspringe und jubele, Tony. Ich habe nicht deine besondere Neigung, die es für mich so interessant machen würde, und es scheint mir nichts von unmittelbarer Bedeutung zu sein.«
    »Nein?« Ferri zog eine Braue hoch und wedelte dann mit dem blutbefleckten Skalpell durch die Luft. »Du wirst dich wundern.« Ein Teil der übersprudelnden Freude verließ ihn. Zum ersten Mal schien er zu merken, daß er und seine Kleider über und über mit Blut befleckt waren. »Hölle«, murmelte er, »ich muß mir diesen Schmutz etwas abwaschen.« Er verschwand im Badezimmer. Einen Augenblick später hörte Farber die Dusche laufen.
    Farber ging zurück ins Wohnzimmer. Er suchte den Stuhl, der am weitesten vom Flur entfernt stand und setzte sich. Selbst dort spürte er den schwachen Geruch von Verwesung. Er wartete.
    Ein paar Minuten später kam Ferri heraus, trug Jeans und ein Sweatshirt. Er schaltete den Ventilator an, um den Geruch zu vertreiben, ging zu einer fahrbaren Bar und mixte ihnen Drinks. Einen reichte er Farber und setzte sich dann in den gegenüberliegenden Sessel.
    »Jesus«, seufzte Ferri, während die Polster sich selbständig formten. »Ein langer Tag.« Er schlürfte an seinem Drink. Er sah jetzt müde aus. Offensichtlich hatte ihn Farbers fehlende Begeisterung aus seinem manischen Zustand herausgerissen. »Tut mir leid, daß ich dich so mit meinem Geschwätz überfallen habe, Joe, aber Himmel! Das bedeutet mir soviel, und ich vermute, ich ging richtig darin auf. Wenn du nur ahnen könntest, wie schwer es ist, die Cian zu irgendeiner Kooperation zu gewinnen, wie verdammt mißtrauisch sie sind, wie viel ich Süßholz raspeln und manipulieren mußte, um diese beiden lausigen Exemplare herauszueisen …« Wieder seufzte er und nahm einen größeren Schluck.
    »Du hältst das alles für übertriebene Pedanterie, nicht wahr?«
    Farber lächelte unverbindlich. Er schüttelte das bräunliche Zeug im Glas. Komisch, wieder mal Scotch zu trinken. Schließlich sagte er höflich: »Es scheint mir ein bißchen akademisch zu sein.«
    »Aber überhaupt nicht«, erwiderte Ferri mit Nachdruck. »Ich wette, darin liegt der Schlüssel zu allem anderen. Hölle!« Erhielt inne. »Die cianische Kultur hat etwas sehr Sonderbares. Verdammt, sie hat sogar irgend etwas Künstliches. Diese Sache, daß die Männer die Kleinen säugen zum Beispiel. Ich bin den Typen da drüben mit einem Diagnostikator durchgegangen. Nun, die enzymischen und hormonellen Veränderungen im Grundsystem der Männer sind

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