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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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aufrecht an ihren Stäben getragen, offensichtlich ohne jegliche Anstrengung, wenn auch einige von ihnen an die dreißig, vierzig Pfund wiegen mußten. Trotz seines offensichtlich hohen Alters ging der Twizan in einer komplizierten Schrittfolge, schoß von einer Seite der Straße auf die andere, wirbelte und sprang, schleuderte ein paar Handvoll braunen Staubs in die Luft – es roch nach Muskat und Zwiebeln, und Farber mußte beinahe niesen. Der Twizan atmete nicht einmal sonderlich schwer, wenn er auch schon an die achtzig Jahre alt sein mußte. Farber hatte die unglaubliche Lebenskraft der Cian nie so deutlich vor Augen gehabt wie hier. Ein schneller Marsch über drei oder vier Meilen bei einer Temperatur von nahe null Grad hätte eine terranische Frau im letzten Stadium der Schwangerschaft sicher umgebracht oder eine Frühgeburt ausgelöst, aber irgendwie war die cianische Frau noch auf den Beinen, ging zwischen der Soúbrae – diese Alte Frau war fett, stämmig und fast kahl, aber ebenso kalt und alt – und den stillen, kostümierten Feten daher. Das Gesicht der Mutter wirkte abgehärmt und leer und so grau wie Asche. Ihre Haut glänzte trotz der Kälte klebrig vor Schweiß. Manchmal stolperte sie, und die Soúbrae reichte ihr eine Hand, um sie zu stützen. Aber sie ging weiter.
    Sie alle ignorierten Farber vollständig, und er unternahm keinen Versuch, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Still saß er auf seinem Felsen und schwieg, und nach kurzer Zeit war die Prozession den Hügel hinab und außer Sichtweite in einem Schneebaumhain verschwunden.
    Er gab ihnen fünf Minuten, stand dann auf und folgte ihnen.
    Das Gebärhaus lag noch eine dreiviertel Meile weiter die Straße entlang. Es war ein niedriges Flachdachgebäude aus grobem grauen Gestein, lag mit der Front zur Straße und breitete sich nach hinten in die niedrigen Hügel aus. Wahrscheinlich war es in den Berg hineingebaut. Es gab keine Fenster, und Farber konnte nur eine Tür sehen. Es war ein unscheinbares Gebäude, und man hätte es leicht für ein Lagerhaus halten können, wenn sich nicht die Prozession in einem Halbkreis davor aufgestellt hätte. Als er ankam, vollzogen sie gerade das Ritual der Erwartung, feierten bereits die Kommende-Übertragung. Farber beobachtete die Szene aus etwa dreißig Schritt Entfernung, stand mit gegen die Kälte zusammengezogenen Schultern dort. Wieder war er deutlich zu sehen, und wieder ignorierte man ihn, als existiere er gar nicht. Farber hatte hier nichts zu suchen, und wenn er schnüffelte, dann war das ein Zeichen für seinen schlechten Geschmack, seine Ungebildetheit. Niemand würde sich der Gefahr einer Vergiftung durch Farbers disharmonisches Wesen in dem Versuch aussetzen, auch nur irgendwie auf ihn zu reagieren. Das Ritual war kurz: Nachdem die Mutter von dem Twizan gesalbt worden war, führte die Soúbrae sie zum Gebärhaus, zu der hohen Eisentür in der glatten Steinwand. Die Tür öffnete sich. Man erhaschte einen kurzen Blick auf jemanden in weißer Kleidung. Die Mutter betrat das Gebärhaus. Hinter ihr schloß sich die Tür.
    Die Soúbrae wandte sich um, und die Prozession war vorbei. Die Beteiligten gingen nicht mehr in strenger Reihenfolge, sondern wurden wieder zu einer formlosen Gruppe von Individuen. Sie machten sich in beliebiger Ordnung auf ihren Weg zurück nach Aei, redeten miteinander, lachten über Scherze, die Musiker hingen die Instrumente über den Rücken, die Impersonatoren legten die langen Stäbe auf die Schultern. Die meisten blickten Farber im Vorübergehen wiederholt an. Nur die Soúbrae und der Twizan sahen nicht hin, und sie strahlten kühle Ablehnung aus. Innerhalb weniger Minuten waren sie auf der Straße verschwunden, und Farber war wieder allein.
    Er wartete.
    Der Wind stöhnte vom Meer her; die Sonne glitt nach Westen auf den Horizont zu.
    Sonst regte sich nichts – alles war kalte Stille und Spannung.
    Er wartete, fror, kauerte sich gegen die Kälte nieder, begann schließlich mit Turnübungen gegen die Kälte: Arme gegen den Körper schlagen, Kniebeugen, auf der Stelle laufen, und er fragte sich dabei, was die ihn möglicherweise beobachtenden Cian bei seinen Bewegungen wohl vermuteten, fühlte sich auffällig und absurd, machte aber entschlossen weiter. Seine Bewegungen brachten den Kreislauf wieder in Gang, sein Atem verpuffte in kleinen, heftigen Explosionen einer alten Dampflok nicht unähnlich, aber er wartete hartnäckig weiter. Er belagerte das Gebärhaus noch

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