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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Verletzungen. Achtzehn bis zwanzig Jahre vielleicht.«
    Dann telefonierte er, verständigte einen Krankenwagen, die Gerichtsmedizin, Fotografen und Techniker. Erklärte ihnen den Weg, die befahrene Straße auf der Rückseite der Kuppe. Er bat sie, in einiger Entfernung zu halten, um eventuell vorhandene Reifenspuren nicht zu zerstören. Dann schaute er sich nach einer Sitzgelegenheit um und entschied sich für den flachsten Felsen.
    Skarre ließ sich neben ihn fallen. Stumm starrten sie die weißen Beine der Toten an und die blonden Haare, sie waren glatt und halblang. Die Frau lag fast in Embryostellung. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die Knie angezogen. Die Windjacke lag locker über ihrem Oberkörper und reichte ihr bis zur Mitte der Oberschenkel. Die Jacke war sauber und trocken. Ihre übrigen Kleider waren hinter ihrem Rücken aufgestapelt, sie waren naß und verdreckt. Jeans mit Gürtel, ein blau-weiß kariertes Hemd, ein BH, ein dunkelblaues Sweatshirt. Reebok-Turnschuhe.
    »Was hat sie denn da am Mund?« fragte Skarre.
    »Schaum.«
    »Aber wieso Schaum? Wo kommt der denn her?«
    »Das werden wir sicher noch erfahren.« Sejer schüttelte den Kopf. »Sieht aus, als habe sie sich schlafen gelegt und der Welt den Rücken zugekehrt.«
    »Man zieht sich doch wohl nicht aus, wenn man Selbstmord begehen will?«
    Sejer gab keine Antwort. Er sah sie wieder an, sah den weißen Körper am schwarzen Wasser, umgeben von dunklen Tannen. Diese Szene hatte nichts Gewalttätiges an sich, es wirkte eher friedlich. Sie faßten sich in Geduld.
    Sechs Männer kamen mit schweren Schritten aus dem Wald. Das Stimmengewirr ebbte mit leisem Husten ab, als sie die Kollegen am Seeufer entdeckten. Eine Sekunde später sahen sie die Tote. Sejer erhob sich und winkte.
    »Bleibt auf eurer Seite!« rief er.
    Das taten sie. Alle kannten diesen grauen Schopf. Einer der Männer musterte mit geübtem Blick das Gelände, stampfte kurz auf den Boden auf, der hier ziemlich fest war, und murmelte etwas von zu wenig Niederschlag. Der Fotograf ging vorn. Er achtete nicht weiter auf die Tote, sondern schaute zum Himmel hoch, wie um die Lichtverhältnisse zu überprüfen.
    »Mach von beiden Seiten Bilder«, sagte Sejer. »Und achte darauf, daß auch die Vegetation mit drauf ist. Ich fürchte, du mußt auch noch ins Wasser, ich will Bilder von vorn, ohne sie bewegen zu müssen. Wenn du den halben Film voll hast, entfernen wir die Jacke.«
    »Solche Weiher sind in der Regel endlos tief«, sagte der Fotograf skeptisch.
    »Du kannst doch schwimmen?«
    Sie schwiegen kurz.
    »Da hinten liegt ein Kahn. Den können wir nehmen.«
    »Den mit dem flachen Boden? Der sieht ganz schön morsch aus.«
    »Das wird sich herausstellen«, sagte Sejer kurz.
    Während des Fotografierens warteten die anderen ganz still, nur ein Techniker durchsuchte ein Stück weiter weg den Boden, auf dem jedoch keinerlei Abfälle zu finden waren. Es war eine äußerst idyllische Stelle, an solchen Orten war der Boden normalerweise mit Kronkorken, benutzten Kondomen, Kippen und Schokoladenpapier übersät. Hier fanden sie nichts.
    »Unglaublich«, sagte er. »Nicht einmal ein abgebranntes Streichholz.«
    »Er hat danach vielleicht aufgeräumt«, sagte Sejer.
    »Sieht das nicht eher nach Selbstmord aus?«
    »Sie ist splitternackt«, wandte Sejer ein.
    »Ja, aber das wollte sie sicher so. Die Kleider sind ihr jedenfalls nicht mit Gewalt vom Leib gerissen worden.«
    »Sie sind dreckig.«
    »Vielleicht hat sie sie deshalb ausgezogen.« Der Techniker lächelte. »Und sie hat sich erbrochen. Sicher hatte sie etwas gegessen, das sie nicht vertragen hat.«
    Sejer schluckte eine Antwort hinunter und sah die Tote an. Ob er wollte oder nicht, er konnte diesen Gedankengang nachvollziehen. Sie sah wirklich aus, als habe sie sich zum Schlafen hingelegt, ihre Kleider lagen ordentlich neben ihr, waren nicht wahllos verstreut. Sie waren schlammig, schienen aber nicht beschädigt zu sein. Nur die Windjacke, die ihren Oberkörper bedeckte, war trocken und sauber. Er starrte Schlamm und Modder an und entdeckte etwas, das wie Schuhsohlenabdrucke aussah. »Sieh dir das an«, sagte er zu dem Techniker.
    Der Mann im Overall ging in die Hocke und maß alle Abdrucke mehrmals aus.
    »Hoffnungslos. Es steht zuviel Wasser drin.«
    »Kannst du gar nichts damit anfangen?«
    »Wahrscheinlich nicht.«
    Sie betrachteten die mit Wasser gefüllten Ovale aus zusammengekniffenen Augen.
    »Mach trotzdem Fotos.

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