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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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illegalen Aufenthalt im Sessel beendete. Sejer wohnte in einem Block; es war das einzige zwölfstöckige Hochhaus in der Stadt und sah in seiner Nachbarschaft ziemlich lächerlich aus. Wie ein übergroßer Hinkelstein ragte es inmitten der übrigen Bebauung in den Himmel. Daß Sejer und seine Frau Elise vor zwanzig Jahren trotzdem hier eingezogen waren, hatte daran gelegen, daß die Wohnung einfach vorzüglich geschnitten war und eine atemberaubende Aussicht bot. Er konnte von hier aus wirklich die ganze Stadt sehen, und wenn er sich die Alternativen vorstellte, dann kam ihm jede andere Möglichkeit zu wohnen wie Eingesperrtsein vor. Im Haus vergaß man schnell, wie es von außen aussah, die Wohnung war gemütlich und angenehm, die Wände waren mit Holz getäfelt. Die Möbel stammten noch von seinen Eltern, alt und solide und aus sandstrahlgeblasener Eiche. Die Wände waren größtenteils mit Büchern bedeckt, und an den wenigen freien Stellen hatte er ausgewählte Bilder aufgehängt. Eins von Elise, mehrere vom Enkel und seiner Tochter Ingrid. Eine Kohlezeichnung von Käthe Kollwitz, die er aus einem Kunstkatalog ausgeschnitten hatte, steckte in einem schwarzen Lackrahmen - »Tod mit Mädchen auf dem Schoß«. Ein Foto zeigte ihn selbst in freiem Fall über dem Flugplatz. Auf einem posierten seine Eltern feierlich in ihrem Sonntagsstaat. Immer, wenn er seinen Vater ansah, rückte sein eigenes Alter unangenehm nahe. So würden die Wangen einsinken, die Haare auf den Ohren und die Augenbrauen dagegen würden weiterwachsen und ihm das gleiche buschige Aussehen verleihen.
    Die Regeln in dieser Gemeinschaft, in der die Familien wie bei Vigelands Monolith übereinandergestapelt waren, waren sehr streng. Es war verboten, auf dem Balkon Teppiche zu klopfen, deshalb brachte er seine jeden Frühling in die Reinigung. Es war eigentlich wieder an der Zeit. Kollberg, der Hund, hinterließ überall jede Menge von Haaren. Eine eigens einberufene Hausversammlung hatte sich mit Kollberg befaßt, hatte ihm dann aber die Wohnerlaubnis erteilt, vermutlich, weil Sejer Hauptkommissar war und seine Anwesenheit den anderen ein Gefühl von Sicherheit vermittelte. Er fühlte sich nicht eingesperrt, er wohnte ganz oben. Die Wohnung war sauber und ordentlich und spiegelte sein Inneres wider: Ordnung und Übersicht. Nur der Hund hatte in der Küche eine Ecke, in der immer wieder Trockenfutter und Wasser den Boden verschmutzten, und diese Ecke war Sejers einziger schwacher Punkt. Seine Beziehung zu dem Hund war in zu hohem Maß geprägt von Gefühlen und in zu geringem von Autorität. Das Badezimmer war der einzige Raum, mit dem er unzufrieden war, aber darum würde er sich später kümmern. Jetzt war erst mal diese Frau an der Reihe, vielleicht auch ein gefährlicher, frei herumlaufender Mann. Sejer gefiel das nicht. Er hatte das Gefühl, vor einer dunklen Biegung zu stehen, hinter die er nicht schauen konnte.
    Er stellte sich breitbeinig hin, um die Umarmung des Hundes aufzufangen, die einfach überwältigend war. Dann machte er mit ihm einen kurzen Spaziergang um den Block, gab ihm frisches Wasser und hatte die Zeitung zur Hälfte gelesen, als das Telefon klingelte. Er drehte die Stereoanlage leise und verspürte eine leichte Spannung, als er abnahm. Vielleicht hatte schon jemand angerufen, vielleicht hatten sie jetzt einen Namen.
    »Hallo, Opa!«
    »Matteus?«
    »Ich muß jetzt ins Bett. Es ist spät.«
    »Hast du dir denn auch brav die Zähne geputzt?« fragte Sejer und setzte sich auf die Bank vor dem Telefon. Er sah das kleine mokkafarbene Gesicht und die perlweißen Zähnchen vor sich.
    »Das hat Mama gemacht.«
    »Und deine Fluortablette genommen?«
    »Mhm.«
    »Und dein Abendgebet aufgesagt?« neckte er.
    »Mama sagt, das ist nicht nötig.«
    Sejer plauderte lange mit seinem Enkel, er hielt den Hörer dicht an sein Ohr, um jeden kleinen Seufzer und jede Nuance der hellen Stimme zu hören. Diese Stimme war rund und weich wie der Ton einer Weidenflöte im Frühling. Dann wechselte er noch ein paar Worte mit seiner Tochter. Hörte ihr leises resigniertes Seufzen, als er von dem Fund erzählte, so als gefiele ihr seine Berufswahl überhaupt nicht. Sie seufzte genauso wie früher Elise. Ihr eigenes Engagement im vom Bürgerkrieg verwüsteten Somalia erwähnte er nicht. Statt dessen schaute er auf die Uhr und dachte plötzlich, daß jetzt irgendwo ein anderer Mensch das gleiche tat. Irgendwo wartete jemand, schaute zum Fenster und zum

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