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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Ich finde, sie sehen klein aus. Vielleicht von einem Menschen mit kleinen Füßen.«
    »An die siebenundzwanzig Zentimeter. Nicht gerade eine Riesenquante. Könnten ihre sein.« Der Fotograf machte mehrere Bilder der Spuren. Danach schwappte er in dem alten Kahn über den Weiher. Sie hatten keine Ruder finden können, deshalb mußte er mit den Händen paddeln. Bei jeder Bewegung bekam das Boot bedrohlich Schlagseite.
    »Es zieht Wasser«, rief er besorgt.
    »Keine Panik, gleich kommt eine komplette Rettungsmannschaft!« antwortete Sejer.
    Als der Fotograf endlich fertig war, hatte er über fünfzig Aufnahmen gemacht. Sejer ging zum Wasser, legte Schuhe und Socken auf einen Stein, krempelte die Hosenbeine hoch und watete los. Er stand einen Meter vom Kopf der Toten entfernt. Sie trug eine Kette mit Anhänger um den Hals. Vorsichtig hob er mit einem Kugelschreiber den Anhänger hoch. »Ein Medaillon«, sagte er leise. »Vermutlich Silber. Steht etwas drauf. Ein H und ein M. Halt mal eine Tüte bereit.«
    Er bückte sich, öffnete den Verschluß der Kette und nahm die Jacke weg.
    »Sie ist rot im Nacken«, sagte er dann. »Fast ungewöhnlich helle Haut, aber sehr rot im Nacken. Ein häßlicher Fleck, so groß wie eine Hand.«
    Snorrason, der Gerichtsmediziner, trug Gummistiefel. Er stapfte durch das Wasser und untersuchte der Reihe nach Augäpfel, Zähne, Fingernägel. Registrierte die makellose Haut, die schwachen roten Flecken, es gab mehrere von der Sorte, die wie zufällig über Hals und Brust verteilt waren. Er merkte sich jede Einzelheit, die langen Beine, das Fehlen von Muttermalen, was nur selten vorkam, und er fand nur eine kleine Petechie auf der rechten Schulter. Vorsichtig berührte er den Schaum über ihrem Mund mit einem Holzspatel. Der Schaum war fest und dicht, fast wie eine Süßspeise.
    »Was ist das denn?«
    Sejer nickte zu ihrem Mund hinunter.
    »Auf den ersten Blick tippe ich auf Lungenflüssigkeit, die Protein enthält.«
    »Und das bedeutet?«
    »Ertrinken. Es kann aber auch auf etwas anderes hindeuten.« Snorrason kratzte ein wenig Schaum weg, und nach kurzer Zeit quoll neuer hervor. »Die Lunge klappt zusammen«, erklärte er.
    Sejer kniff die Lippen zusammen, als er dieses Phänomen betrachtete.
    Der Fotograf machte weitere Bilder von der Toten, nun ohne Jacke.
    »Jetzt müssen wir das Siegel brechen«, sagte Snorrason und drehte sie vorsichtig auf den Bauch. »Eine ganz schwach einsetzende Starre, vor allem im Nacken. Große, gutgebaute Frau, gut in Form. Breite Schultern. Kräftige Muskulatur in Oberarmen, Oberschenkeln und Waden. Hat vielleicht Sport getrieben.«
    »Kannst du irgendwelche Hinweise auf Gewalteinwirkung entdecken?«
    Snorrason betrachtete den Rücken und die Rückseite der
    Beine. »Abgesehen von dem roten Fleck im Nacken - nein. Jemand kann sie hart im Nacken gepackt und dann kopfüber ins Wasser gedrückt haben, als sie noch angezogen war. Dann wurde sie an Land gezogen, sorgfältig entkleidet, zurechtgelegt und mit der Jacke zugedeckt.«
    »Irgendwelche Anzeichen für eine Vergewaltigung?«
    »Kann ich noch nicht sagen.«
    Snorrason maß ziemlich ungerührt vor aller Augen ihre Temperatur und las das Ergebnis mit zusammengekniffenen Augen ab.
    »Dreißig Grad. Wenn wir die wenigen Totenflecken und nur eine leichte Starre im Nacken dazunehmen, können wir davon ausgehen, daß der Tod innerhalb der letzten zehn bis zwölf Stunden eingetreten ist.«
    »Nein«, sagte Sejer. »Nicht, wenn sie hier gestorben ist.«
    »Möchtest du meinen Job übernehmen?«
    Sejer schüttelte den Kopf. »Heute vormittag hat hier eine Suchaktion stattgefunden. Eine Gruppe von Leuten mit einem Hund hat diesen Teich nach einem verschwundenen Kind abgesucht. Das muß irgendwann zwischen zwölf und zwei gewesen sein. Und da lag sie noch nicht hier. Sie hätten sie doch gesehen. Das Kind ist übrigens wohlbehalten wieder aufgetaucht«, fügte er hinzu.
    Er sah sich um, starrte aus schmalen Augen auf Modder und Schlamm. Ein winzig kleiner leuchtender Punkt erregte seine Aufmerksamkeit. Vorsichtig hob er ihn mit zwei Fingern hoch. »Was ist das denn?«
    Snorrason blickte in Sejers Hand. »Eine Pille, irgendeine Art von Tablette.«
    »Vielleicht findest du in ihrem Magen noch mehr davon?«
    »Sehr gut möglich. Aber ich kann nirgendwo ein Pillenglas entdecken.«
    »Sie kann sie doch lose in der Tasche gehabt haben.«
    »Dann werden wir in ihren Jeans Staub finden. Leg die Pille hier in die

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