Fremde Federn
klar.«
Bannen schüttelte den Kopf und schaute zur Mündung des Welland. »Dort muß das Boot angelegt haben. Sie hat vom Boot aus geschossen.«
»So haben die Fenmänner auf die Vögel geschossen. Damals hatten sie aber ein spezielles Gewehr dafür. Egal, allein hätten sie es beide nicht geschafft. Er brauchte ihre Augen, sie brauchte seine Planung und seine Nerven.«
»Ich habe noch vergessen, Ihnen zu erzählen«, sagte Bannen, »daß ich mich oben in Schottland mal umgesehen habe. Ich bin nach Perthshire gefahren. So wie ich die Sache sehe, war Emery möglicherweise doch des Mordes an dem Mädchen schuldig. Die Brücke war aus Holz und nur für Fußgänger. Das Wasser war schon tief, aber versehentlich kann das Mädchen da keineswegs hineingefallen sein. Jedenfalls meiner Einschätzung nach nicht. Da hat einer nachgeholfen.«
Jury staunte. »Sie haben Emery verdächtigt? Dabei waren Sie doch so verblüfft, als wir vorhin telefoniert haben.«
»War ich ja auch. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er Verna Dunn erschossen hat, aus dem einfachen Grund, weil er blind ist. Trotzdem ist er mir nicht aus dem Kopf gegangen. Wenn einer ein Motiv hatte, dann doch Emery. Das Leben im Freien bedeutete ihm alles - ein Gut zu managen, das Schießen, das Jagen. Ja, die schiere Freude des Sehens. Wenn einem eine rachsüchtige Frau das alles nimmt .« Bannen schüttelte den Kopf. »Dann kam mir auch wieder seine Braut in Perthshire in den Kopf, schwanger und tot. Wie unsere Dorcas.«
Jury lächelte. Selbst Bannen nahm sie nun in Besitz. »Das arme Mädchen. Es muß für Emery ziemlich schwierig gewesen sein, sie dazu zu überreden.«
»Angeblich überraschend leicht. Sie hätte alles getan, nur um ihn zu kriegen. Und sie wollte auch, daß Verna Dunn starb. Sie war verständlicherweise eifersüchtig. Daher ihr Stimmungsumschwung.«
»Das oder die Einsicht, daß sie es >nicht hätte tun sollen<. Einen Menschen zu erschießen, sollte ja eigentlich ausreichen, einem die Stimmung zu vermiesen.« Jury stocherte mit der Schuhspitze ein bißchen Schlick hoch. »Nur eine Kugel? Sie muß ja verdammt zielsicher gewesen sein.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich glaube, daß mindestens noch eine Kugel im Sand vergraben ist. Und vergessen Sie nicht, sie hatten den Kahn sehr dicht rangefahren.« Bannen rieb sich mit dem Daumen über die Stirn. »Was für ein groteskes Stelldichein, meinen Sie nicht auch?« Bannen schien nun zum erstenmal die Kälte zu spüren. Er blies sich in die Hände. »Der Herr bewahre mich vor Liebe, wenn sie so verzweifelt endet.«
Jury sagte nichts.
»Gehen wir. Ich weiß überhaupt nicht, warum wir hierhergefahren sind.« Bannen drehte sich abrupt um und trottete zurück zum Auto. Als sie den Damm hochkletterten, blieb Jury stehen und schaute zurück zu dem Streifen Mondlicht auf dem Sand. Vielleicht gab es doch keinen Sturm.
»Ich weiß nicht, warum wir hierhergefahren sind«, sagte Bannen noch einmal. »Ich muß hier immer an den Krieg denken. Der Krieg, das waren die Küsten, der Strand. Man war so schutzlos. Ich war siebzehn und habe dieses Gebiet verteidigt. Jedesmal habe ich gedacht, ich sterbe.« Dann sagte er wieder: »Ich weiß nicht, warum wir hierhergefahren sind. Warum?«
»Ich glaube, es gibt Orte, die einen magisch anziehen, und man kann sich erst aus ihrem Bann befreien, wenn man auch ihre harmlose Seite betrachtet.« Das helle Mondlicht spielte auf den glänzenden Schlammflächen.
»Herrgott, das ist ja fast poetisch.«
Jury lächelte ein wenig. »Ich tue mein Bestes.«
Bannen knallte die Autotür zu und ließ den Motor an. »Mann, ich bin froh, daß es vorbei ist. Jetzt aber Schluß damit. Sagen wir fini zu dem Job, und gehn wir in das verdammte Pub und trinken ein Pint.«
Jury nickte. »Ich bin dabei. Fini.«
Index
MARTHA GRIMES
GEWAGTES SPIEL
Roman
Deutsch von Sigird Ruschmeier
GOLDMANN VERLAG
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Case Has Altered« bei Henry Holt, New York
Der Goldmann Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann
1. Auflage Copyright © 1997 by Martha Grimes All rights reserved Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1997 by Wilhelm Goldmann Verlag, München Satz: Uhl + Massopust, Aalen Printed in Germany • Presse-Druck Augsburg ISBN 3-442-30487-3
Weitere Kostenlose Bücher