Fremde Wasser
Oberschenkels.
Körner stieß ein Knurren aus, wie Georg Dengler es aus keiner menschlichen Kehle je gehört hatte und das eher zu einem angeschossenen
Bären gepasst hätte als zu seinem Klienten.
Auf dem zweiten Foto, nur Sekunden nach dem ersten geschossen, streckte die Frau beide Beine in die Luft. Mit ihrem rechten
Arm hielt sie den Mann im Anzug umschlungen, drückte ihn zu sich heran, ihre linke Hand ruhte auf seiner Schulter. Der Mann
trug noch immer seinen Hut und weiße Boxershorts mit braunen Streifen.
Der Ton, den Körner nun ausstieß, klang nicht mehr nach einem Bären, sondern glich dem Fiepen eines zu Tode erschrockenen
Welpen.
Auf dem dritten Bild saß das Paar auf der Wiese in einer kleinen Waldlichtung. Der Mann hatte ein Glas Rotwein in der Hand.
Körners Frau stützte sich mit der rechten Hand auf dem Boden ab und sah ihn verträumt an. Wieder fiepte Körner auf diese unmenschliche
Art. Er steckte das Bild unter den Stapel mit den Fotografien, die er in der Hand hielt, und betrachtete die nächste Aufnahme.
Die Gesichtszüge des Mannes waren gut zu erkennen. Er trug noch immer seinen Hut, hatte jedoch den Krawattenknoten gelockert.
Er kniete hinter Körners Frau und nahmsie von hinten. Sie sah genau in die Kamera, und ihr Gesicht vermittelte hoch konzentrierte Aufmerksamkeit, so als lausche
sie einer Symphonie von Mahler.
Von Körner kam nun kein Geräusch mehr. Er betrachtete das Bild. Ließ es zu Boden fallen. Betrachtete das nächste. Dann das
nächste. Und noch eins. Immer schneller arbeitete er sich durch den Stapel von Fotos, den Georg Dengler ihm gegeben hatte.
Dann warf er sie in die Luft und drehte sich um. Er ging zum Fenster und starrte hinunter auf die Wagnerstraße. Zweimal schlug
er mit der Faust gegen die Wand und griff in die Holzjalousie, die Georg Dengler erst am Mittwoch hatte anbringen lassen,
zog daran und stieß erneut dieses Fiepen aus.
»Lassen Sie es gut sein, Körner«, sagte Dengler, »lassen Sie Ihre Wut nicht an meiner Jalousie aus.«
Er erhob sich von seinem Schreibtischstuhl und öffnete den Schrank hinter sich. Hier verwahrte er immer eine Flasche guten
Cognacs – für Fälle wie diese. Mit zwei Gläsern in der Hand ging er zu Körner hinüber, dessen rechte Hand sich noch immer
in der Jalousie vergraben hatte. Dengler stellte ein Glas ab und löste vorsichtig Körners Finger aus den Holzlamellen.
»Gran Canaria? Auf Gran Canaria war sie?«, fragte Körner, und Dengler nickte. Seine Frau hatte ihm gesagt, sie fahre für einige
Tage zu ihrer Schwester nach Bochum. Körner atmete schwer. Dann tranken die beiden Männer.
* * *
Eine halbe Stunde später stieß Georg Dengler die Tür zum Basta auf. Er ging an der Bar vorbei und setzte sich an den Tisch am Fenster, an dem bereits sein Freund und Nachbar Martin Klein
saß, der sich über einige bedruckte Blätter beugte und mit einem Kugelschreiber hin und wieder einzelne Textpassagen korrigierte.
»Na, wie hat dein Klient auf die amourösen Fotos seinerFrau reagiert?«, fragte Klein und sah Dengler über seine Brille hinweg an, die ihm auf der Nase ziemlich weit nach unten gerutscht
war. Mit einer schnellen Bewegung schob er sie zurück.
»Er warf sie im Büro umher, schlug gegen die Wand und verkrallte sich dann in meine neuen Jalousien.«
»Hmm. Wie in einem Film ..«
Klein runzelte die Stirn und schien nachzudenken.
Der kahlköpfige Kellner brachte Georg Dengler einen doppelten Espresso und stellte ein Glas mit warmer Milch daneben. Dengler
dankte ihm mit einem Kopfnicken. Langsam schüttete er einen Schluck Milch in den Espresso und rührte um. Er überdachte noch
einmal diesen Fall.
Sein Auftrag war erledigt. Punktgenau erledigt. Körner hatte seiner Frau nicht vertraut und wollte wissen, ob sie einen Liebhaber
hatte. Nun wusste er es. Sie hatte ihrem Mann die Lügengeschichte des Besuchs bei der Schwester in Bochum erzählt, tatsächlich
war sie aber auf Gran Canaria gewesen. Bereits auf dem Hinflug hatte neben ihr der Kerl gesessen, der beim Sex nicht einmal
den Hut abnahm. Dengler hatte dieselbe Maschine genommen. Später waren die beiden so miteinander beschäftigt, dass sie Dengler
nicht bemerkten, der aus 20 Meter Entfernung fotografierte. Er hatte seinen Job gut gemacht. Genau das in Erfahrung gebracht,
was sein Klient wissen wollte. Mit Fotos dokumentiert. Er hätte mit sich zufrieden sein können. Doch stattdessen fühlte er
sich leer.
Er
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