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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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saß und die leere weiße Tür anstarrte, wurde ihm bewußt, daß er nicht einmal wußte, wo sie wohnte oder wie er sie wiederfinden konnte.

3
     
    Während der morgendlichen Rituale des Waschens, Anziehens und Frühstückens war Farber völlig in Gedanken versunken. Sein Geist hatte sich geteilt. Die eine Hälfte hätte am liebsten vor Glück vor sich hingesummt und -gepfiffen, was die andere Hälfte jedoch gar nicht beachtete. Diese Hälfte war mit der gespannten Erwartung, ja der Furcht erfüllt, ob sie zurückkommen würde. Es war gut möglich, daß er sie nie wieder sah.
    Später als üblich trat er in den flachen, weißen, windigen Morgen hinaus und machte sich auf den Weg zu den Co-Op-Büros.
    Hier in der Enklave hatten die Straßen terranische Namen – Washington Street, Second Avenue, Sutter-Platz, Regenbogenterrasse –, und auch die Architektur war irdisch: viel Glas, Plastik und Glasfiber, viele arrogant vorstehende, scharfe Ecken, alles so hoch wie nur eben möglich, mit nichts in Aei vergleichbar, mit nichts auf ganz »Lisle«. Die hohe Mauer, die die Enklave umgab, schuf Sicherheit, indem sie jede Sicht auf die fremde Stadt draußen verhinderte. Farber konnte sich fast vorstellen, er sei hier noch auf der Erde, während er über den schwarzen Asphalt der Washington Street zu den futuristischen ABC-Blocks ging, in denen die Hauptbüros der Co-Operative untergebracht waren; New York, Frankfurt, Chikago, Tokio – auf der Erde gab es Dutzende von Städten, die nicht anders aussahen.
    In den Büros herrschte geschäftiges Treiben wie immer, wenn nicht eines der einheimischen Feste stattfand, aber Farber argwöhnte immer mehr, daß von diesen vielfältigen Aktivitäten nicht sehr viele zu irgend etwas führten. Jeden Tag brachten die Cian Waren aus allen Teilen des Planeten hierher, aber sie taten es auf eine vergnügte Art, als sei alles nur ein großes Spiel – die Cian fanden die ganze terranische Handelsmission ungeheuer komisch, genau wie die meisten terranischen Bräuche, und Farber fragte sich, ob sie nicht einfach ihren Spaß daran hatten, unnütze oder möglicherweise sogar beleidigende Objekte Tausende von Meilen weit zu schleppen, um sie vor den müden Augen der Evaluationsteams zu plazieren. Jeden Tag ging es dort lärmend, stinkend, bunt und vielfältig zu. Die Büros waren vollgestopft mit fremden Artefakten, Stoffballen, Metallmustern, stinkenden Gewürzen, Kunstobjekten, Pflanzen jeder Art (Früchte, Muster von Getreide-Gräsern, blühende Ranken, Büsche, ganze Bäume, ja manchmal schienen es ganze Urwälder zu sein, die alle ihre verschiedenen Düfte, fein oder überwältigend, dem vielfältigen fremdartigen Gestank zugesellten, den selbst die nächtlichen antiseptischen Spray-Aktionen nie ganz beseitigen konnten), alle beschreiblichen und unbeschreiblichen tierischen Lebensformen (von einem sphärischen nachtschwarzen Ding von der Größe eines kleinen Elefanten zu kleinen zottigen Raubtieren, nicht größer als Hummer, die herumhuschten, um das Büropersonal anzuknabbern, nachdem sie seltsamerweise bei den Cian noch ganz zahm gewesen waren), von einigermaßen normal aussehenden Insekten bis zu »Vögeln«, die in Wirklichkeit »Eidechsen« waren (nichts davon war – auch nicht als exotisches Schoßtier – für den Export geeignet, und erst recht war nie ein gezähmtes Tier darunter), Muster von Drogen und Medikamenten und der haute cuisine der Cian, ja sogar jene seltsamen genetisch veränderten Wesen, die von den cianischen »Schneidern« produziert wurden. Und selbstverständlich waren auch die Cian selbst da und machten sich ganz offensichtlich auf Kosten der Terraner einen schönen Tag, wobei sie es schafften, ihr Theater zugleich vergnügt und würdevoll aufzuführen; »als habe man es mit einem Haufen Tabakladen-Reklameindianern zu tun«, wie einer der Evaluatoren es nannte.
    Jacawen sur Abut, der cianische Beigeordnete der terranischen Handelsmission, erschien Farber als der einzige Cian, der wirklich so würdevoll war, wie die anderen immer vorgaben zu sein, und Jacawen wirkte nicht nur ehrwürdig, sondern regelrecht grimmig. Natürlich war er als »Vertragsvater« der Terraner – um den cianischen Ausdruck zu benutzen – persönlich für jeden Schaden an der cianischen Gesellschaft verantwortlich, der aus den irdischen Handelswaren oder der Konfrontation mit terranischen Sozialvorstellungen entstehen konnte. Aber Farber fühlte, daß hinter Jacawens Grimm tiefere

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