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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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schnappte er sich seine Sensi-Krone und seinen Geräte-Rucksack und machte schnell, daß er aus den Büros zum Enklaven-Tor kam. Zu seinem Mißvergnügen lief er hinter dem Archiv-Gebäude ausgerechnet Dale Brody in die Arme. Schon vorher hatte er einige zweideutige Blicke aufgefangen und begann sich zu fragen, wer alles in der Enklave etwas von seinem nächtlichen Abenteuer mitbekommen hatte. Brody sah ekelerregend und gepflegt zugleich aus, als habe man ihn an den Haaren zur Konservierung kurz in schnelltrocknenden Lack gehalten, aber erst, nachdem er schon tot war und einige Tage Zeit zum Verwesen gehabt hatte. Er ging steif und langsam, bewegte Arme und Beine kaum vom Körper fort, und seine Augen waren klein, rot und böse.
    »Hallo, Junge!« rief Brody heiser, »’ne Nacht bei ’n Niggern, was?« Seine Stimme tropfte von vorgetäuschter Kameradschaft. Farber nickte dümmlich und reflexhaft und wurde dann plötzlich in einer seltsamen Mischung aus Verwunderung und Wut rot bis über beide Ohren. Brody sprach noch immer, träge und erinnerungsvoll: »Weißt du, ich habe mich schon immer gefragt, wie diese Nigger-Fotzen sind, ein bißchen quer, sagen sie ja – aber, verdammt, wie wirst du bloß mit dem Geruch fertig? Das turnt mich immer völlig ab. Ich kapier’ einfach nicht, wie du das, verdammt noch mal, schaffst, es sei denn, du hast gar keine Nase.« Er grinste ohne Wärme und Humor mit seinen gelblichen, verrotteten Zähnen.
    Weit weg, irgendwo von seinem Hinterkopf aus, beobachtete Farber fasziniert seine eigene Reaktion. Ein Teil Farbers sprach definitiv auf die Umkleidekabinen-Töne von Brody an, und zwar mit einer beschämenden, unterwürfigen Peinlichkeit, die ihn sogar in seiner Demütigung noch zu einem Teil des sozialen Mechanismus werden ließ, wenn auch nur in der Rolle des Sündenbocks, einfach weil er diese Demütigung zuließ. Ach, zum Teufel, Dale, müßte er nun sagen, in einem jammernden, halb wütenden Tonfall. Ich war betrunken. Kennst du doch, Dale – du weißt schon –, bist du nie besoffen, verdammt?! Mensch, ein Mann ist manchmal nicht mehr zu halten, wenn er blau ist. Komm schon, Dale, das ist doch so …
    Und Brody würde ihn noch ein bißchen weiter demütigen, während sie in dieser beleidigend vertraulichen Umkleidekabinen-Atmosphäre »befreit« zusammen lachen würden, Farber in stiller Übereinkunft mit seinem Peiniger, der sich an Sätzen hochziehen würde wie: Verdammt, Alter – Mensch, wenn du einen geladen hast, Alter, dann vögelst du alles und jeden, was? Ziegen oder Tauknoten, ist dir alles egal. Und Farber würde ein falsches, unterwürfiges Lächeln lächeln, symbolisch den Unterkörper vorschieben und seine verwundbarsten Teile dem stärkeren Tier zeigen – und schließlich würde Brody ihm einen letzten symbolischen Klaps geben, bastinado, und verschwinden, um Farber allein zu lassen, damit er seine Wunden lecken und sich mit dem Wissen trösten konnte, daß er immer noch zum Rudel gehörte.
    Farber kannte dieses Spiel gut – in seiner Heimatstadt Treuchlingen hätte es einen etwas anderen Akzent gehabt, eine andere Sprache, andere Redewendungen, aber die Regeln wären die gleichen gewesen.
    Andererseits könnte er wütend und beleidigt aufbrausen, Brody obszöne Dinge an den Kopf werfen, ihn vielleicht sogar schlagen – und Brody würde wahrscheinlich sogar das Weite suchen. Aber von da an wäre Farber ein Paria, ein Ausgestoßener. Unberührbar.
    Farber entschied sich für keine der Alternativen. Statt dessen wählte er – vielleicht feige – den neutralen Weg: »Mensch, Dale«, sagte er gequält, »mach mich heute bloß nicht an, klar? Ich habe einen ganz beschissenen Kater, einen ganz wahnsinnig dicken Kopf.« Und hinter seinem gequälten Ausdruck ließ er ein winziges, spöttisches Lächeln aufblitzen, als wolle er sagen: Oh, Mann, war das eine Nacht. Du würdest es mir nie abnehmen …
    Brody starrte Farber unsicher an, durch dieses andere Umkleidekabinen-Spiel aus dem Gleichgewicht gebracht, bei dem er noch nicht wußte, wie er darauf zu reagieren hatte. Nach einer kurzen Pause meinte er vorsichtig: »Habe die Dame vorhin gesehen, die du gestern nacht hast sitzen lassen, unsere Kathy. Da wirst du es schwer haben, bis die noch mal die Beine für dich breit macht.«
    »Scheiß drauf«, antwortete Farber, indem er halb unbewußt Brodys Worte vom gestrigen Abend wiederholte. »Es gibt genug Fotzen auf der Welt, oder?«
    »Klar«, knurrte Brody,

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