Die Insel der Verdammten
C umanä, an der venezuelischen Küste, ungefähr dreihundert Kilometer westlich der Mündung des großen Orinoko-Flusses gelegen, ist eine der ältesten Städte Amerikas. Sie wurde 1520 von den Spaniern am Ausgang der tiefen Bucht gegründet, die durch eine lange Halbinsel vor den nordöstlichen Passatwinden geschützt wird. Sie war von jeher ein lebhaftes Handels-und Kulturzentrum und ein Stützpunkt für die Unternehmungen der Konquistadoren. Von hier aus zogen die gefürchteten Eroberer ins Innere des Landes, bis weit an den Orinoko hin, um die Indianerstämme zu unterwerfen und ihnen das Land zu rauben. Auch gingen von hier zahlreiche Missionare hinaus, um die Seelen der Indianer zu unterjochen oder — wenn man so will — sie zu „retten" und um reiche Missionen zu gründen.
In Cumanä gibt es natürlich viele Kirchen und Klöster, die in ihren Mauern Sammlungen von Chroniken, Urkunden und Verträgen bergen. Bis auf den heutigen Tag sind hier wertvolle Handschriften erhalten geblieben, die Licht auf die Geschichte dieses Landes und auf die Geschehnisse vergangener Zeiten werfen.
Einige Dutzend Kilometer im Norden von Cumanä erhebt sich aus dem Karibischen Meer die von Kolumbus entdeckte ausgedehnte Insel Margarita. Zwischen Margarita und dem Festland liegt eine andere, wesentlich kleinere Insel, die Isla Cocha. Jahrhunderte hindurch war sie unbewohnt, und erst um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hatten sich hier die ersten Menschen angesiedelt, jedoch nur für eine vorübergehende Zeit.
Aus jener Periode befindet sich in einer der Bibliotheken von Cumanä der Bericht eines Franziskaners. Darin schildert er, wie die Bewohner von Cocha während seines Aufenthaltes auf der Insel in einer Höhle ein großes Boot entdeckten, das
zweifellos vor mehreren Jahrzehnten dort verwahrt worden war. Das Boot trug die in Holz eingeritzte rätselhafte Inschrift: JOHN BOBER POLONUS und darunter die Jahreszahl 1726. Der Franziskaner hatte versucht, das Geheimnis des verborgenen Bootes und der merkwürdigen Inschrift zu enthüllen. Dies gelang ihm jedoch nicht, obwohl er die Angelegenheit mit einer damals sehr bekannten Expedition in Verbindung brachte, die aus ungefähr einem Dutzend Spaniern bestand und im gleichen Jahr 1726 von Margarita aus aufs Meer hinauszog, um Jagd auf entflohene Sklaven zu machen. Die Expedition blieb mitsamt dem Schiff verschollen.
Soweit der Bericht des Franziskaners.
Andere Urkunden aus damaliger Zeit, die sich in den Büchersammlungen von Cumanä befinden, erzählen von einem ungewöhnlichen weißen Mann, der kurze Zeit nach 1726 in den Wäldern der Orinoko-Mündung auftauchte. Dort lebte der unabhängige Indianerstamm der Arawaken, über den der Weiße großen Einfluß gewann. Er nannte sich Juan, was dem englischen John entspricht, und war ein berühmter Befehlshaber, der es verstand, viele benachbarte Stämme unter seiner Führung zu vereinigen. Er besaß eine gewisse Menge Feuerwaffen und verteidigte Jahre hindurch erfolgreich die Unabhängigkeit der Eingeborenen gegen die Angriffe der spanischen Eindringlinge. Erst nach seinem Tode gelang es, den Widerstand der Indianer zu brechen und sie zu unterjochen. Es dürfte der Mühe wert sein, auf Grund vorgefundener Aufzeichnungen jenes wahrhaft ungewöhnlichen Menschen, Jan Bober, die interessanten Abenteuer zu schildern, die er auf der menschenleeren Insel des Karibischen Meeres erlebt hat. Folgen wir seiner eigenen Erzählung.
An der Mündung des James River
Z u rudern verstehst du doch, nicht wahr?" fragte mich mein neuer Freund, der Matrose William, leise.
„Ja", flüsterte ich.
„Dann los!"
In der Dunkelheit tastete ich nach dem Bordrand der Schaluppe, sprang hinein und legte das Bündel, das meine ganze Habe enthielt, zu meinen Füßen nieder. Ich ergriff die Ruder. William stieß das Boot mit einer kraftvollen Bewegung vom Ufer ab und setzte sich ans Steuer. Als ich das rettende Wasser unter mir spürte, seufzte ich erleichtert auf: Ich war wie ein gehetztes Wild, das seinen Verfolgern entwischt.
Kaum hatten wir das Boot einige Klafter auf den Fluß hinausgerudert, als uns das schnelle Fahrwasser mit sich riß; denn jetzt, zur Zeit der Ebbe, wälzte sich die Strömung mit gesteigerter Geschwindigkeit abwärts, der Mündung des James River zu.
Es war kurz nach Mitternacht. Die mit feinem Regen durchtränkte Finsternis hüllte den Fluß und die Uferspeicher von Jamestown ein. Ringsum herrschte Stille, nur das gedämpfte
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