Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
Der Weg ist die Party, Teil 1
Der Weg zur Party hin und von der Party heim ist das Fest der steten Bewegung. Eine Feier des Sehens und Gesehenwerdens. Eine Begegnung von Gleichgesinnten. Ungünstig ist nur, dass man auch im echten Leben nie ankommt …
Der Typ da gegenüber ist echt cool, denkt Leif. Voll fertig, der Alte. Leif hört sich selbst dabei zu, wie er das denkt. Voll fertig, der Alte. Leif hat sich angewöhnt, so zu denken, wie er redet. Wie er lebt. Er hat sich einen Slogan für sein Leben ausgedacht: Long drinks. Short words.
Leif denkt sich: Das wird ja sowieso nichts mehr mit dem anständigen Dasein. Er ist kein Versager, das nicht. Kein Schulabbrecher mit krimineller Karriere. Das wäre ja wenigstens was, denkt Leif, denn er kennt solche Leute. Die haben ständig zu tun. Allein die ganzen Fernsehauftritte in den Doku-Soaps. Man muss nur krass genug sein. Das ist wie mit den Schulden. Hast du 10000 Miese, machen sie dir die Hölle heiß. Hast du 100 Milliarden, kommt Angela persönlich vorbei und bringt die gute Plätzchenmischung mit. Leif ist einfach nicht krass genug. Leif hat einen Realschulabschluss mit der Durchschnittsnote 3,7. Das muss man sich mal vorstellen. Mehr Mittelmaß geht nicht. Neulich saß er bei einem Bewerbungsgespräch für eine Ausbildungsstelle im Baumarkt. Der Mann hinter dem Schreibtisch hatte ein längliches Gesicht und einen Bart wie ein Erdkunde-Lehrer. Er sah aus, als wüsste er, wo die richtigen Ratschen liegen. Als er Leifs Mappe aufklappte und sein Abschlusszeugnis sah, musste er sich dazu zwingen, nicht zu lachen. Aber es ging nicht. Jedes Mal, wenn Leif etwas sagte, zuckten des Ratschenmanns Mundwinkel. Er hörte gar nicht richtig zu. Irgendwann brach es aus ihm heraus: »Sie machen die Realschule zu Ende, aber dann mit einer 3,7???« Lachtränchen glitzerten in seinen Augenwinkeln.
Gar kein Abschluss, das kennen sie. Und eifrige Gymnasiasten. Aber dranbleiben und dann mit Vier plus abschließen? Da liegen sie am Boden.
Jedenfalls, der Typ da gegenüber, der ist cool, denkt Leif. Der muss die Nacht durch ordentlich Party gemacht haben. Das ist eh das einzig Richtige. Wenn Party ein Beruf wäre, dann wären sie alle reich. Leif, Rebecca, Keule … Keule hat heute zu schnell gemacht. Um ein Uhr nachts war er schon so fertig, dass er genau vor der Box der Anlage eingeschlafen ist. Auf einer Elektroparty! Er hat sich nicht irgendwo unter einen Tisch gerollt oder wenigstens den Schädel auf die Klobrille gelegt, um in den Wachphasen ohne Vorbereitung kotzen zu können, wie es jeder vernünftige Mensch tut. Nein. Keule torkelt zur Box – das Ding groß wie zehn Schränke, Dubstep von Skrillex pumpt raus wie Flakfeuer –, legt sich davor und pennt ein.
Der Typ gegenüber sieht aus, als hätte er seit Tagen durchgemacht. Mit Augenringen wie schwarze Gummidichtungen lehnt er neben der U-Bahn-Tür, eine Flasche Bier in der Hand. Ein schönes Konterbier, denkt Leif, der Mann weiß zu leben. Allerdings fragt er sich, warum er noch stehen kann. Leif ist um diese Zeit zu fertig dazu. Und der Typ steht schon seit drei Stationen, obwohl viele Plätze frei sind. Leif beobachtet ihn durch die Rillen seiner gelben Shutter Glasses. Neben ihm sitzt Rebecca mit ihrer Pandabärenkapuze. Hat sie sich angeschafft wegen Cro. Auf den stehen ja jetzt alle Weiber. Blöder Sack. Besonders, weil er gut ist. Kann man nicht mal schlecht finden, die Scheiße. Er sagt’s ja, wie es ist: »Easy.« Alles nicht so ernst nehmen. Ein Schwall Magenaroma schießt durch Leifs Hals. Bier, Wodka, Captain Morgan. Er könnte schon wieder saufen. Ach, richtig, kann er ja, denkt er und erinnert sich an die Bierflasche in seiner Hand. Hätte er fast vergessen.
Leif nimmt die Rillenbrille ab, um den jungen Mann besser zu sehen. Ausgelatschte Turnschuhe, dunkle Jeans. Bis zum Hosenbund sieht er gar nicht wie ein Partygänger aus. Aber oben, da trägt er eine zeltgroße, weiße Gangsta-Rap-Jacke und eine gefälschte Goldkette. Und das auch noch über einem T-Shirt, auf dem in absichtlich verzerrter Schrift Wohl gestern gesoffen? steht. An der Wange Abdrücke von Lippenstift. Ein kompletter Kussmund, wie mit der Schablone aufgesprüht. Der Mann ist anscheinend ein Weibermagnet. Leif muss grinsen. Er hebt seine Flasche und streckt sie dem Typen zum Anstoßen hin. Sie lassen das Braunglas klimpern.
»Warst wohl auf einer Bad-Taste-Party, wa?«, sagt Leif. Er berlinert ein bisschen. Das gehört dazu, in der
Weitere Kostenlose Bücher