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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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in sein Funkgerät sprach, sich bei einem Freund über etwas beklagte und dann lachte – die laute, quasi ungeschützte Hälfte einer Unterhaltung, und Robs Bedürfnisse schienen im unaufhörlichen Ticken des Taxameters unterzugehen. Die hoch über dem Bürgersteig aufragenden Rosskastanien ließen ihre Blätter fallen, die Eichen fingen erst jetzt an zu rosten und zu verdorren. Viele der großen Häuser waren abgerissen worden, die ehemaligen Gärten bebaut. Eine niedrige Mauer mit abgeschrägter Krone tauchte auf, die Brüstung war bereits verschwunden, dahinter ein kaputter, schiefer Bretterzaun. »Moment mal eben, Andy«, sagte der Fahrer, setzte Rob ab und nickte freundlich, als er ihm das Wechselgeld gab, eine blasse nachträgliche Bestätigung, dass die Fahrt mit ihm doch ganz angenehm gewesen sei.
    Rob suchte sich einen Weg zwischen den schwarzen Pfützen in den Spurrillen der Einfahrt. Das Haus stand knapp fünfzig Meter von der Straße zurückgesetzt, hatte aber seine Ungestörtheit längst aufgeben müssen, zu beiden Seiten ragten Neubauten über die Grenzmauern hinaus. Es war eine jener roten Backsteinvillen, vermutlich aus den Achtzehnhun dertachtzigerjahren, mit Giebeln und Türmchen, viel Holz- und Ziegelverkleidung, sehr hohen Erdgeschossräumen, die zu möblieren und zu beheizen ein Vermögen kostete und die in der heutigen Zeit – Rob hatte es überall in London beobachtet – kaum mehr bewohnbar waren und abweisend wirkten. In den steilen Schieferdächern klafften Löcher, aus den Dachrinnen schossen kleine Büsche, Schleimpilze und Flechten bedeckten die Wände. Unter den Bäumen hatte eine Baumaschine rückwärts eingeparkt, daneben stand ein blauer Focus, der vermutlich Debbie gehörte.
    Der Eingang war mit Brettern vernagelt, und Rob ging um das Haus herum. Es roch nach Rauch, beißend, ätzend, nicht nach frischem Herbstlaub. Der Boden war leicht abschüssig, die verfallene Veranda an der Seite des Hauses reichte bis zur Schulter. Dahinter ein rundes Türmchen, dann eine hohe Backsteinwand mit einer Tür, die sich zu einem winzigen Innenhof öffnete, der Dienstboteneingang; die Tür stand sperrangelweit offen, und Rob schlüpfte hindurch. Er betrat eine finstere Spülküche mit gewaltigen Zinkwannen, dann eine Garküche mit Gasherd, zerbrochene Stühle, nichts, was zu retten sich gelohnt hätte. Der Boden unter den Füßen war kiesig, und es stank penetrant nach roher Feuchtigkeit. Er drückte eine Brandschutztür auf und stand in dem Raum, der früher mal das Speisezimmer gewesen sein musste, wieder roch es nach Rauch. Er sah die üblichen grauenhaften Verschalungen, elektrische Leitungen – das Haus war vor dreißig oder noch mehr Jahren gründlich verschandelt worden. Wundervolle Entdeckungen ließen sich hier keine mehr machen, Rob schrieb das Objekt ab. Weiter in die Eingangshalle, hinter Brandschutztüren versteckt die Treppe, doch hinter einer Doppeltür, die zu einem Raum auf der Seite des Hauses führte, an die der Garten grenzte, schimmerte Licht. Er hörte eine Kinderstimme, den unbekümmerten Ton, die feste Entschlossenheit darin.
    »Sind Sie Debbie?« Auf dem Rasen, nicht mehr als nieder getrampeltes Gestrüpp, klaubte eine rotgesichtige Frau in Jeans und T-Shirt Sachen aus einem Haufen und warf sie in die schwelende Glut – alte Zeitschriften fingen zögernd Feuer, Flammen züngelten hervor.
    »Geh nicht zu nah ran« – ein kleiner Junge im Anorak, sechs, sieben Jahre, ebenfalls mit rot glühendem Gesicht, schleppte wahllos Zeug heran, einen Pappkarton, eine Handvoll Gras und Zweiglein, die ihm auf die Füße fielen, als er sie ins Feuer warf.
    Debbie wusste nicht, wer Rob war: Er sah die gezügelte Neugier in ihrer Miene, die Haltung, dass sie die Verantwortung hatte für das, was hier vor sich ging. »Raymond hat mich hergeschickt. Ich bin Rob.«
    »Ach, ja, richtig«, sagte Debbie. »Ich wollte ihn gerade anrufen. Wir sind gleich fertig.«
    Rob sah ins Feuer, das dicht loderte, aber noch nicht alles verschlungen hatte; noch waren Farbreste an alten Bodenmatten erkennbar, an denen sich das Feuer abmühte, der rosa Saum eines verkohlten Vorhangs. »Wie lange brennt das schon?«
    »Seit wann sind wir hier, Jack? Vorgestern?«
    Der Junge lief los und suchte noch mehr Zeug zum Verbrennen. Rob verbarg seine Sorge, hob einen Stock vom Bo den auf und schleuderte einige vom Feuer ausgespuckte Stücke zurück in den Scheiterhaufen. Er hatte die absurde Idee, unter der Asche könnte

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