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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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sich noch etwas finden, was von den Flammen verschont geblieben war, und schon stellte er sich vor, wie sie alle mit noch größerem Eifer und noch mehr Hingabe, als sie auf das Verbrennen verwendet hatten, das Verschüttete freizulegen und zu bergen begannen – eine Geschichte entstand. »Raymond hat gesagt, Sie hätten den Tresorraum schon leer geräumt.«
    Debbie hatte ein wachsames Auge auf das Kind. »Ja, Spätzchen, das kann auch rein.« Doch der kleine Jack hatte seine Launen und änderte seine Meinung.
    »Das möchte ich behalten, Mummy.«
    »Gut, wie du willst«, sagte Debbie mit geduldigem Blick auf Rob. »Entschuldigen Sie … ja.« Er sah, dass sie nichts gegen ihn hatte, aber auch nicht begeistert war. »Wir haben am Montag alles rausgetragen. Es war nur Papierkram, Geschäftsbücher.« Sie rümpfte die Nase. »Nutzloser Müll.«
    Rob drehte sich zum Haus um, das hinter ihm aufragte, zur geschwungenen Treppe aus zerborstenen Steinstufen, die er eben zum Garten heruntergestiegen war, so wie Harry Hewitt Tausende Male zuvor, ab und zu vielleicht auch sein geliebter Hubert, wenn er vor dem Ersten Weltkrieg mit seiner Schwester Daphne als »Anstandsdame« mit dem Straker auf einen Sprung herübergekommen war.
    »Darf ich mich ein bisschen umsehen?«
    »Machen Sie nur. Der Strom ist schon abgeschaltet, viel sehen kann man nicht mehr.« Sie beschrieb ihm, wo sich der Tresorraum befand, hinter dem Fernsehraum – oder? –; egal, die Räume hatten sowieso alle ihre Funktion verloren. Er fragte sich schon, ob er wirklich hineingehen wollte.
    »Mum? Mum?« Jack hielt mit beiden Händen einen alten Flechtkorb hoch.
    »Nein, der kann rein – meine Güte, wenn man bedenkt, manches von dem Zeug ist aus der Zeit von Königin Viktoria!« Ein erster belustigt verschwörerischer Blick zu Rob. Jack hatte einen eigenen Haufen aus geborgenem Gut, das er unbedingt vor den Flammen bewahren wollte, und einen zweiten mit Sachen, die dem Feuer übergeben werden sollten. Manchmal wechselte mit der angemessenen Willkür des Schicksals ein Gegenstand von einem zum anderen.
    Zurück durch die Terrassentür ins Wohnzimmer: in der Wand ein gähnendes Loch, der Kamin, den Hector hoffentlich gerettet hatte. Durch die Tür links ins Fernsehzimmer, das durch ein kleines, von einem Brombeerstrauch verdecktes Fenster in ein trübes Unterwasserlicht getaucht wurde; dahinter ein finsterer Durchgang, auf der rechten Seite eine weiß gestrichene Tür, die offen stand und die die schwarze, ebenfalls nur angelehnte Stahltür zum Tresorraum zum Vorschein brachte. Rob war auf den Tresorraum mittlerweile genauso neugierig wie auf seinen Inhalt, als er jetzt die Hand auf den Türgriff legte. Vermutlich brauchte ein Sammler so einen Raum, und vielleicht war Hewitt ein Hamsterer gewesen, der mehr Freude daran hatte, Dinge zu besitzen, als sie zur Schau zu stellen. Ein Geheimnis jedenfalls hatte der Raum streng bewahrt, beinahe neunzig Jahre lang. Rob fragte sich, wann Hewitt die Briefe wohl kopiert hatte – als sie eintrafen, als er in Trauer war oder noch viel später, bei der schmerzlichen Suche nach untergegangenen Gefühlen? Vorsichtig schob Rob einen Fuß über die Schwelle und atmete den Geruch von trockenem Holz ein, der sich von dem im Rest des Hauses unterschied. Dann fiel ihm sein Handy ein; er klappte es auf und leuchtete damit in den Raum vor ihm. Er war nur etwa eine Armlänge tief, simple Bretterregale an drei Wänden, wie in einer Trockenkammer; Steinfußboden, Glühbirne an der Decke. Das sparsame Handylicht wurde schwächer und erlosch ganz, Rob schaltete es wieder ein und leuchtete einmal rasch rundum. Debbie hatte nichts übersehen, außer etwas weißlich Schimmerndem auf dem Boden unter dem lin ken Regal, ein Stück Zeitungspapier. Rob hob es auf. Es war eine Seite aus dem Daily Telegraph, er strich sie glatt: 6. November 1948. Als das Licht erneut ausging, blieb er für einen Moment stehen, überwand sich, lotete die Leere aus, und das Echo wurde umgehend erstickt, dann ging er hinaus. Und während er noch in der relativen Helligkeit des Wohnzimmers herumrätselte, wurde ihm anhand der steifen Faltungen des Papiers klar, dass ein rechteckiger Gegenstand in die Seite des Telegraph eingewickelt gewesen sein musste und sie durch Zufall überlebt hatte, aber das war vollkommen bedeutungslos. Er knüllte sie zusammen, trat nach draußen und warf sie in die Flammen.
    Das Feuer bot jetzt ein loderndes Schauspiel, zerbrochene Stühle

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