Fremder in einer fremden Welt
Grübchen< für dich, Kumpel. Ich mache nur die Runde. Was ist das für eine Geschichte mit deinem Patienten?«
»Zerbrich dir nicht den Kopf, Süße, er fällt nicht unter deine Verantwortung. Sieh in deinem Auftragsbuch nach!«
»Habe ich schon. Ich möchte ihn mir ansehen.« »Mit einem Wort - nein.«
»O Tad, verschanze dich nicht hinter Vorschriften! Das hast du doch noch nie gemacht.«
Er betrachtete seine Fingernägel. »Hast du jemals für Dr. Nelson gearbeitet?«
»Nein, warum?«
»Wenn ich dich einen Fuß in das Zimmer hinter jener Tür setzen lasse, werde ich mich in der Antarktis wiederfinden. Dann kann ich Frostbeulen von Pinguinen untersuchen. Also beweg deinen hübschen Hintern hier raus und geh deinen eigenen Patienten auf den Wecker. Mir wäre es schon unangenehm, wenn Dr. Nelson dich hier in diesem Beobachtungsraum erwischte.«
Gillian stand auf. »Ist es wahrscheinlich, daß Dr. Nelson auftauchen wird?«
»Erst dann, wenn ich nach ihm schicke. Er schläft seine Niedrig-g-Ermüdung aus.«
»Was steckt also dahinter, daß du so pflichtgetreu bist?«
»Das ist alles, Schwester.«
»Sehr wohl, Doktor!« Sie setzte hinzu: »Stinktier.«
»Jill!«
»Und ein ausgestopftes Hemd bist du außerdem.«
Er seufzte. »Geht es mit Samstagabend trotzdem in Ordnung?«
Gillian zuckte die Achseln. »Schon. Ein Mädchen kann heutzutage nicht allzu wählerisch sein.« Dann kehrte sie auf ihre Station zurück und holte den Hauptschlüssel. Sie war abgewehrt, aber nicht geschlagen worden. Suite K-12 besaß nämlich eine Verbindungstür zu dem Zimmer auf der anderen Seite, das als Aufenthaltsraum benutzt wurde, wenn in der Suite ein hohes Tier lag. Das war allerdings im Moment nicht der Fall. Es wurde weder als Teil der Suite, noch zu irgendeinem anderen Zweck verwendet. Sie schlüpfte hinein. Die Wachtposten merkten nichts, denn sie hatten keine Ahnung, daß Jill sie umgangen hatte.
An der Tür zwischen den beiden Zimmern zögerte Jill. Sie empfand die gleiche Aufregung wie früher, wenn sie sich aus dem Quartier der Schwesternschülerinnen geschlichen hatte. Dr. Nelson schlief, dachte sie, und Tad würde sie nicht verpfeifen, selbst wenn er sie hier erwischte. Sie nahm ihm nicht übel, daß er sich an die Vorschriften hielt - aber verpfeifen würde er sie nicht. Schließlich öffnete sie die Tür und spähte hinein.
Der Patient lag im Bett. Er sah sie an, als die Tür sich öffnete. Ihr erster Eindruck war, dieser Mann sei schon jenseits von jeder Hilfe. Seine Ausdruckslosigkeit glich der Apathie eines Todkranken. Nein - seine Augen funkelten vor Neugier! Ob er an einer Gesichtslähmung litt? Nein, entschied sie, es fehlten die üblichen Symptome.
Sie gab sich professionell. »Nun, wie geht es uns heute? Schon besser?«
Smith übersetzte die Fragen. Es verwirrte ihn, daß die erste sie beide einschloß. Vielleicht symbolisierte es den Wunsch, daß sie sich gegenseitig Ehre erweisen und sich näherwachsen sollten. Der zweite Teil glich Nelsons Sprachformeln.
»Ja«, antwortete er.
»Gut!« Abgesehen von dieser verwunderlichen Ausdruckslosigkeit fand sie nichts Auffallendes an ihm - und wenn ihm Frauen unbekannt waren, brachte er es fertig, das zu verbergen. »Kann ich etwas für Sie tun?« Sie bemerkte, daß kein Wasserglas auf dem Nachttisch stand. »Soll ich Ihnen Wasser holen?«
Smith erkannte sofort, daß dieses Wesen sich von den anderen unterschied. Er verglich, was er sah, mit den Bildern, die Nelson ihm auf der Fahrt von zu Hause zu diesem Ort gezeigt hatte - Bilder, die ihm einen verwirrenden Aspekt dieser Personengruppe erklären sollten. Das also war >Frau<.
Er fühlte sich auf seltsame Weise gleichzeitig erregt und enttäuscht. Beides unterdrückte er, um tief groken zu können, und zwar mit solchem Erfolg, daß Dr. Thaddeus nebenan keine Veränderung auf den Anzeigen bemerkte.
Aber als Smith die letzte Frage übersetzte, flutete eine so gewaltige Woge von Emotionen über ihn hin, daß er beinahe seinen Herzschlag sich hätte beschleunigen lassen. Er behielt ihn jedoch unter Kontrolle und schalt sich einen undisziplinierten Nestling. Dann prüfte er seine Übersetzung.
Nein, er irrte sich nicht. Dieses Frauenwesen hatte ihm Wasser angeboten. Es wünschte, ihm näherzuwachsen.
Mit großer Anstrengung nach adäquaten Bedeutungen suchend, versuchte er sich an einer Antwort von der gebührenden Feierlichkeit. »Ich danke dir für Wasser. Mögest du immer tief trinken.«
Schwester
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