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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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die
vertrackten Vorstellungen jelitischer Ehre fremd geblieben
wären? Was, wenn ihr Gegenüber älter oder wenn es ein
Mann gewesen wäre…?
    »Wir führen dasselbe Schwert«, schnarrte das
Mädchen, Feindseligkeit in jedem Wort der Eidesformel,
»verbunden durch…« – »Steh auf, delysische
Hure!« – »Wir führen dasselbe Schwert, verbunden
durch die Ehre des Lebens. Was großzügig gewährt
wird, das muß großzügig erwidert werden. Nur Kinder
dürfen die Kraft anderer ohne Gegenleistung in Anspruch nehmen,
auf daß ihre eigene Kraft nicht geschwächt werde und sie
nicht zu Krüppeln werden. Niemand darf seine Kraft in einem
Vertrag zur Verfügung stellen, auf daß er sein Leben nicht
in den Dienst des Staubs stelle. Was großzügig
gewährt wird, das muß großzügig erwidert
werden.«
    »Jetzt nenne die Gegenleistung, du aasfressender
Krihund!«
    Ayrid dachte rasch nach. »Ich möchte deinen Schutz, nur
für einen Reisezyklus. Diese Dreinacht und kommenden Dreitag.
Dann ist dem Ehrenrecht Genüge getan.«
    Die Jelitin runzelte verärgert die Stirn. Es stand ihr frei,
die Gegenleistung abzulehnen; der Eid verlangte nur, Ayrid ein
einziges Mal das Leben zu retten, nicht mehr und nicht weniger. Aber
das würde bedeuten, solange mit Ayrid dasselbe Schwert zu
führen, bis sich eine passende Gelegenheit bot, und es lag auf
der Hand, daß ihr diese Vorstellung zuwider war. Ayrid hatte
viel durch den heimlichen Handel zwischen den Städten gelernt;
nichts konnte diesen Handel unterbinden, nichts außer Krieg.
Und Krieg, das war die andere Art der Krieger, ehrenhafte
Ansprüche abzufinden. Ohne Kriege wäre das Kreuz und Quer
ihrer Verbindlichkeiten aus den verschiedensten Ehrenrechten schnell
zu einem unentwirrbaren Netz geworden. Ayrid hatte noch nie von einem
jelitischen Krieger gehört, der einen ehrenhaften Anspruch nicht
erfüllt hätte. Sie starben lieber – oder wurden gar
von ihrer eigenen grimmigen und aufrechten Kaste getötet. Und
wenn, dann erfuhren nicht einmal ihre eigenen Bürger davon;
Bürger waren unter ihrer Würde; sie waren nicht einmal gut
genug, einem Krieger das Bett zu glätten. Jela steht für
Eure, Delysia für Hinterlist, lautete ein jelitisches
Sprichwort, das selbst in Delysia zitiert wurde. Ayrid dachte an das
Stadtgericht und verzog den Mund.
    »Ich bin mit deinem Vorschlag einverstanden«, sagte das
Mädchen mit säuerlicher Miene. »Und wohin willst
du?«
    »Zur Grauen Mauer.«
    Das Kinn der Jelitin fuhr ruckartig hoch. »Weshalb?«
    »Darüber will ich nicht sprechen.«
    Das Mädchen legte wieder die Stirn in Falten. »Wie du
willst. Aber du glaubst doch nicht, daß sie dich hinter die Graue Mauer lassen?«
    Ayrid sah sie forschend an. Langsam sagte sie: »Du willst
auch dahin. Zu dieser Mauer.«
    »Man nimmt nur Krieger und Soldaten, Delysier.«
    Das hörte Ayrid zum erstenmal. Gerüchte,
Gegengerüchte, eine Behauptung jagte die andere – in
Delysia schwirrte es nur so von widersprüchlichen Geschichten
über die Graue Mauer, durchsetzt und angeheizt mit
widersprüchlichem Gemunkel über einen bevorstehenden Krieg
mit Jela. Delysier verließen nicht gerne ihre Stadt, um die
Wahrheit herauszufinden; die Ungewißheit zahlte sich aus.
Daß nur Krieger und Soldaten hinter die Graue Mauer durften, davon hatte sie aber noch nichts gehört. Wenn das
stimmte…
    Wenn das stimmte, dann wußte sie überhaupt nicht mehr,
wo sie hin sollte.
    »Mir ist egal, wo du abgewiesen wirst«, sagte die
Jelitin. »Deine Forderung wird erfüllt. Ich beschütze
dich bis zur Grauen Mauer. Das dauert keinen ganzen Zyklus
– so kann nur ein Weichling von Delysia denken. Wir legen uns
jetzt schlafen und gehen über Finstertag, oder solange wie dich
deine Füße tragen, und erreichen gegen Ende von
Frühmorgen die Mauer, oder spätestens bei Lichtschlaf. Aber
ich habe keine Lust, an Feuern zu hocken, die irgendein
Geschmeiß aus der Savanne anlocken, und ich kampiere auch nicht
bei Huren. Ich werde dich beschützen, Delysier, doch laufen und
schlafen mußt du alleine. Wenn du mich brauchst, dann
rufe.«
    »Warte – was soll ich denn rufen? Wie heißt
du?«
    »Jehanna. Und was für Waffen hast du sonst noch in
deinem Sack?«
    »Gar keine.«
    Jehanna schnaubte. »Unbewaffnet und allein in der
Savanne?«
    »Ja!«
    »Und warum gar keine und das so laut? Ich brauche ein
besseres Messer als das hier.«
    Sie griff nach Ayrids Reisesack. Ayrid konnte es nicht verhindern.
Sie hätte sich auf den Sack stürzen

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