Fremdes Licht
schwarze Haarflechten, die am Hinterkopf zu einem
Kriegerknoten gewunden waren, langer, schmaler Hals, dunkle
jelitische Augen und das leichtfüßige Temperament eines
durchtrainierten Athleten.
»Womit hast du nach der Kemburi geworfen?« wollte sie
wissen.
Ayrid sah zur Savanne hinüber. Der blaue Flaschenhals, der
noch verstöpselt war, lag am Rand des Plateaus. Mit vorsichtigen
Schritten ging sie darauf zu, nahm ihn auf und drehte und wendete ihn
in den Händen. Ein paar Tropfen Säure brannten auf ihren
Fingern.
»Ich habe dich gefragt, was in der Flasche war!«
»Säure. Um mit Kupferfarbe zu mischen«, sagte
Ayrid; sie hörte sich kaum reden. »Die Farbe fließt
dann besser, und sie haftet besser am Glas.«
»Du bist Glasmacher?«
»Bis vor kurzem.« Der verächtliche Tonfall der
Jelitin ließ Ayrid aufblicken. »Was ein Glück ist,
denn die Säure verätzt nicht bloß Finger, sondern
auch Pflanzen.«
Das Mädchen war verdutzt und errötete; es kam auf Ayrid
zu. Ayrid stand da, den Flaschenhals in der Faust, und sagte:
»Sei vorsichtig. Ich bin jetzt bewaffnet.«
»Was? Damit willst du gegen mich kämpfen?«
sagte die Jelitin empört. »Setz dich!«
Ayrid setzte sich. Das Mädchen hockte sich nicht weit von ihr
nieder, kaum daß sein Gesäß die Fersen
berührte. Es strahlte Wachsamkeit aus, vergleichbar mit der
Hitze in der Nähe eines Glasofens.
»Delysier. Warum hast du mir das Leben gerettet?«
Ayrid. Warum gefährdest du das Leben deines Kindes? Der Tonfall war derselbe: der Kreis der Ankläger im
Gerichtshof, der Stadtväter von Delysia, die in dem strahlenden,
farbenprächtigen Licht der Fenster standen, die Ayrids Mutter
bemalt hatte, und die jelitische Kriegerin, die dahockte in der
kalten Düsternis auf dem nackten Felsboden. Derselbe Tonfall.
Das trostlose Lachen versuchte wieder die Oberhand zu gewinnen, und
Ayrid wehrte sich nicht, wollte nachgeben, sich nicht länger an
die Vernunft klammern – und an ihr Leben. War es nicht egal,
woran sie zugrunde ging? Ob sie nun durch die Hand dieses
Mädchens starb oder durch die Kälte und die Gefahren, die
in der Savanne lauerten? Warum nicht lachen?
Doch sie wehrte sich. Offenbar wollte sie doch nicht sterben.
»Ist es nicht egal, warum ich dein Leben gerettet habe? Ich
hab’s getan.«
Die schwarzen Augen des Mädchens glitzerten abwartend.
»Ich habe dein Leben gerettet. Jetzt führen wir dasselbe
Schwert, das Schwert der Ehre.«
Das Mädchen prustete über die Worte, die in jelitischen
Ohren wie eine Blasphemie klingen mußten. Wieso verstand sie,
Ayrid, sich so sehr auf Blasphemie? Ausgerechnet sie?
Die Jelitin sagte: »Der Codex der Krieger gilt nicht für
Delysier!«
»Tut er das nicht? Dann spricht er nicht von der wahren
Ehre.«
»Ein Delysier redet von Ehre?« Das Mädchen spuckte
theatralisch aus – und was ein wenig lächerlich wirkte
– mitten ins Feuer. Rauch kräuselte von einem
glühenden Zweig.
»Unsere Städte liegen nicht im Krieg. Zur Zeit
jedenfalls. Deshalb führen wir dasselbe Schwert. Was
großzügig gewährt wird, muß
großzügig erwidert werden.«
Die Jelitin musterte sie mit verengten Augen. Ayrid versuchte,
sich mit den Augen dieses Mädchens zu sehen: ein delysischer
Bürger, nicht einmal ein Soldat; schmutzig trotz des kalten
Flußwassers; Delysia und Jela vor drei Jahren im Krieg, in
diesem Jahr noch unruhige Verbündete, im nächsten
vielleicht schon wieder im Krieg. Und dagegen stand nur das naive
Vertrauen eines Mädchens in den allzu simplen Ehrencodex eines
Kriegers. Nein, sie würde nicht darauf eingehen. Es war weit
einfacher, Ayrid zu töten und damit das Problem aus der Welt zu
schaffen.
Ayrids Finger schlossen sich fester um den Hals von Embris
Flasche.
Das Mädchen stieß wüste Verwünschungen aus,
einen ganzen Schwall von Kriegerflüchen, und dann spuckte sie
die Wörter wie verdorbenes Fleisch aus dem Mund: »Du
beanspruchst das Schwert der Ehre?«
»Ich habe dir das Leben gerettet.«
»Du hast nicht gesagt, warum!«
»Ehre verlangt nicht, daß ich sage, warum.«
»Du weißt zuviel über Krieger, Delysier!«
Sie wollte darauf eingehen; sie wollte ihr das Ehrenrecht
zuerkennen. In dem Moment, da Ayrid sich dessen sicher war, da bekam
sie ihre Angst erst richtig zu spüren, und zwar als etwas
Kriechendes, etwas Schleimiges hinter ihrem Kehlkopf. Was, wenn sie
nicht zufällig die Flasche geworfen hätte? Was, wenn ihr
Glashof nicht soviel Handel mit Jela getrieben hätte und ihr
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