French 75: Ein Rostock-Krimi
und verschwand lautlos.
Der macht seinen Weg , dachte der Detektiv und widmete sich wieder der Baltischen See, die unter dem sadistischen Sturm ächzte und stöhnte. Pawel grinste höhnisch.
An Bord der Trawler hatte er viel über die Männerwelt gelernt. Er hatte so viele Männerfantasien und Geheimnisse erfahren, dass ihn kaum noch etwas erschrecken konnte. Auf seine pragmatische Art war er Spezialist für die Schattenseite des Männlichen geworden, das war ihm noch an Bord klargeworden. Deshalb hatte er nicht lange überlegen müssen, was er als Landratte beruflich tun sollte, und sich um eine Privatdetektivlizenz bemüht. Denn wer brauchte Hilfe, wenn nicht Frauen, die von verschrobenen Männern belästigt wurden? Pawel kannte die Gedankengänge und Gefühlswelten seiner Geschlechtsgenossen, er war mit den Einsamen, Enttäuschten und Verlassenen jahrelang zur See gefahren, und so sorgte er sich nicht groß um Tina Schneiders Problem. Wenn sie wüsste, was einem Kerl beim Schweigen und Arbeiten alles möglich erschien! Da waren solche Anrufe doch geradezu läppisch.
Pawel räusperte sich und beugte sich nach vorn, als der Kellner das Frühstück für Störtebekers vor ihm aufbaute, als würde er ein Kunstwerk erschaffen.
»Und hier ist ein Kümmel, wenn Sie wieder Platz brauchen«, sagte der junge Mann, als er fertig war, und zauberte ein Fläschchen auf den Tisch.
Pawel war bei diesem Anblick euphorisch geworden. »Wie auf einem Trawler! So fingen die Tage immer an, damit man Zwanzig-Stunden-Schichten durchhielt.«
»Ach? Sie sind zur See gefahren?«
Pawel nickte, über das Interesse irritiert. Doch kaum ein wirkliches Interesse! Oder hatte er etwa Angst vor Homosexuellen? Lächerlich! Er rückte ein wenig von dem Jungen weg, sah ihm lieber nicht ins Gesicht und antwortete: »Als ich jung war, so wie du! Die See ist noch immer der beste Ort, um aus Jungs Kerle zu machen.«
»Das glaube ich gerne«, sagte der Kellner kühl und verschwand hinter Pawels Rücken. »Aber die Welt verändert sich.«
Während der ehemalige Hochseefischer die Berge aus Eiern, Fleisch und Fisch vertilgte und mit Seen von Kaffee verdünnte, vor sich hin rülpste und furzte und immer wieder auf die Nebelhörner horchte, die von den vielen Kähnen, Schiffen, Frachtern, Seglern und Marinebooten herüberwehten, überlegte er sich im Fall Schneider eine Strategie. Hauptsächlich stützte sie sich auf die Tugend der Angler: das Warten.
Was sollte er sonst tun? Da hatte ein Kerl im Auftrag einer Firma angerufen. Er wollte Tina Schneiders Meinung zu Finanzprodukten, Marmelade und politischen Parteien wissen. Und weil er sich langweilte, fragte er sie ein wenig nach ihrem persönlichen Umfeld aus. Mein Gott, doch kein Grund, gleich verrückt zu werden. So waren Männer eben. Wenn sie merkten, sie hatten eine Frau am Haken, die in ihr Raster passte, dann mussten sie eben tun, was sie tun mussten. Probieren ging über Studieren. Ein unschuldiger Flirt am Telefon, vielleicht ergab sich ja mehr. Und am Ende die Daten über ihren Wohnort und ihre Arbeitsstelle, die waren eben nötig, wie der Anrufer ja auch gesagt hatte, um das Ganze in die Statistik einlaufen lassen zu können. Keine Panik auf der Titanic.
Pawel ließ das Besteck auf den Teller fallen und hob das Fläschchen hoch, um den Kümmel mit einem Zug auszutrinken, ehe er sich in den Sessel zurückfallen ließ.
Bevor er zahlte, fragte er den Kellner, der gleichzeitig der Barkeeper war, ob er wisse, was ein French 75 sei.
»Ein was?«
»Ein Cocktail auf Ginbasis.«
»Cocktails hatten wir in der Berufsschule noch nicht. Da müssen wir erst warten, bis alle bei uns volljährig sind.«
Enttäuscht rundete Pawel auf zwanzig Euro auf und machte, dass er vom Lächeln des Jungen wegkam. War das wirklich ein Homosexueller? Hatte Pawel nicht schon oft festgestellt, dass sich die Männerwelt auf dem Land irgendwie verändert hatte, während er auf See gewesen war? Insgesamt wirkten die jüngeren Männer auf ihn femininer als früher. Klar, sie mussten ja auch kaum noch körperlich arbeiten, und neue Studien hatten sowieso bewiesen, dass sich die Pubertät heute bis Mitte zwanzig hinzog. Die Menschen wurden nicht nur älter, sie wurden auch viel später erwachsen.
Der Privatdetektiv kämpfte sich durch den Sturm zurück zum Auto, und während er die Tür aufschloss, ging ihm eine Weisheit nicht mehr aus dem Kopf, die ihm einst der Kapitän der »Rimbaud« mitgegeben hatte: Wer den Sturm
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