French, Tana
einem haben sie einen Koffer gefunden.«
Dramatische
Pause. Drogen? Schusswaffen? Bargeld? Jimmy Hoffa? »Verdammt, Jackie. Red
endlich!«
»Es ist
der von Rosie Daly, Francis. Es ist ihr Koffer.«
Die ganze
Sinfonie aus Verkehrslärm verstummte jäh, wie ausgeschaltet. Die orangerote
Glut am Himmel wurde wild und gierig wie ein Waldbrand, grell, außer Kontrolle.
»Nein«,
sagte ich, »ausgeschlossen. Ich weiß nicht, wie zum Henker ihr darauf kommt,
aber das ist absoluter Schwachsinn.«
»Francis,
nun hör doch mal -«
Ihre
Stimme triefte vor Sorge und Mitgefühl. Wenn sie bei mir gewesen wäre, hätte
ich ihr, glaub ich, eine reingehauen. »Lass mich in Ruhe mit >Francis, nun
hör doch mal<. Du und Ma, ihr habt euch da wegen nichts und wieder nichts in
irgendeine Hysterie reingesteigert, und ich soll jetzt dabei mitmachen —«
»Hör zu.
Ich weiß, dass dich das -«
»Oder das
Ganze ist bloß ein Trick, um mich rüberzulocken. Ist es das, Jackie? Schwebt
dir vielleicht eine große Familienversöhnung vor? Dann lass dir mal eins
gesagt sein, das ist hier keine Vorabendserie, und solche Spielchen gehen nicht
gut aus.«
»Hör auf,
so einen Schwachsinn zu reden«, blaffte Jackie, »und reiß dich am Riemen. Wofür
hältst du mich eigentlich? In dem Koffer ist eine Bluse, lila mit
Paisleymuster, Carmel hat sie wiedererkannt -«
Ich hatte
sie zigmal an Rosie gesehen, wusste, wie sich die Knöpfe unter meinen Fingern
anfühlten. »Ja, so eine, wie sie jedes junge Mädchen hier in den Achtzigern
getragen hat. Für ein bisschen Klatsch und Tratsch würde Carmel glatt Elvis
beim Bummeln auf der Grafton Street wiedererkennen. Ich hätte dich für
vernünftiger gehalten, aber anscheinend -«
»Und in
die Bluse eingewickelt ist eine Geburtsurkunde. Rose Bernadette Daly.«
Womit sich
meine Einwände mehr oder weniger erledigt hatten. Ich steckte mir eine
Zigarette an, stützte die Ellbogen auf das Geländer und nahm den längsten Zug
meines Lebens.
»Tut mir
leid«, sagte Jackie leiser. »Dass ich so grob zu dir war. Francis?«
»Ja.«
»Alles in
Ordnung?«
»Ja. Hör
zu, Jackie. Wissen die Dalys Bescheid?«
»Die sind
nicht zu Hause. Nora ist vor ein paar Jahren nach Blanchardstown gezogen, glaub
ich. Mr Daly und Mrs Daly besuchen sie freitagabends, um das Baby zu sehen.
Mammy glaubt, sie hat irgendwo die Nummer, aber —«
»Habt ihr
die Polizei angerufen?«
»Nur dich
natürlich.«
»Wer weiß
sonst noch davon?«
»Bloß die
Arbeiter. Zwei Jungs aus Polen. Als sie Feierabend gemacht haben, sind sie
rüber zu Nummer fünfzehn und haben gefragt, wem sie den Koffer geben könnten,
aber in Nummer fünfzehn wohnen jetzt Studenten, und die haben die beiden dann
zu Ma und Dad geschickt.«
»Und Ma
hat's nicht gleich der ganzen Straße erzählt?«
»Unsere
Straße ist nicht mehr so, wie du sie gekannt hast. Mittlerweile wohnen in der
Hälfte der Häuser Studenten und Yuppies. Wir wissen nicht mal, wie die Leute
heißen. Die Cullens sind noch da und die Nolans und ein paar von den Hearnes,
aber Mammy wollte keinem was sagen, solange sie es nicht den Dalys gesagt hat.
Das wäre nicht richtig.«
»Gut. Wo
ist der Koffer jetzt?«
»Im
Wohnzimmer. Hätten die Arbeiter ihn nicht wegnehmen sollen? Die mussten ja
weiterarbeiten -«
»Ist schon
okay. Aber fasst ihn jetzt möglichst nicht mehr an. Ich bin, so schnell ich
kann, bei euch.«
Eine Sekunde
Stille. Dann: »Francis. Ich will ja nicht irgendwas Schreckliches denken, Gott
bewahre, aber heißt das nicht, dass Rosie ...«
»Wir
wissen noch gar nichts«, sagte ich. »Wartet einfach auf mich, und redet mit
niemandem.«
Ich legte
auf und warf einen raschen Blick in die Wohnung hinter mir. Hollys Tür war noch
geschlossen. Ich rauchte meine Zigarette mit einem weiteren Marathonzug zu
Ende, warf die Kippe über das Geländer, zündete mir eine neue an und wählte
Olivias Handynummer.
Sie sagte
nicht mal hallo. »Nein, Frank. Diesmal nicht. Keine Chance.«
»Es geht
nicht anders, Liv.«
»Du hast
darum gebettelt, sie jedes Wochenende zu haben. Gebettelt. Wenn du sie nicht willst —«
»Ich will
sie ja. Aber das ist ein Notfall.«
»Es ist
immer einer. Deine Abteilung kommt bestimmt zwei Tage ohne dich aus, Frank.
Auch wenn dir der Gedanke nicht gefällt, du bist nicht unverzichtbar.«
Für jeden,
der weiter als einen halben Meter entfernt war, musste ihre Stimme nach
heiterem Plauderton klingen, aber Olivia war wütend. Besteckgeklapper,
perlendes Lachen,
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