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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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in die Hand nehmen. Ich mußte zum Monster werden.
    Und nicht nur das. Ich ließ das Studio dicht machen, um meine Macht zu testen, um zu sehen, ob sie nach meiner Pfeife tanzten, auf meine Stimme hörten. Nachdem das Studio geräumt war, fiel es mir leichter, die Schurken zur Strecke zu bringen, mich um meine potentiellen Attentäter zu kümmern.«
    »Stanislau Groc?« fragte ich.
    »Groc …? Ja, der trägt die Hauptschuld. Mich hat er eingestellt, weil ich Kreaturen zum Leben erwecken konnte, so wie er den guten alten Lenin aufgepäppelt hatte. Dann setzte er Arbuthnot wohl den Floh ins Ohr, er solle dich anheuern. Dann bastelte er die Puppe und stellte sie auf die Mauer, um den Studioleuten und Arbuthnot einen Schrecken einzujagen. Anschließend lud er uns zur bestialischen Enthüllung ins Brown Derby ein. Als ich dann mein Lehmmonster anfertigte und alle in Angst und Schrecken versetzte, wollte er das Geld aus ihnen herausschütteln.«
    »Du hast Groc also ‚umgebracht?«
    »Nicht direkt. Ich ließ ihn am Tor festnehmen. Sie brachten ihn in Mannys leeres Büro und ließen ihn dort allein. Als der Spiegel zur Seite glitt und ich vor ihm stand, fuhr er hoch vor Schreck und starb. Jetzt Doc Phillips, frag mich nach ihm.«
    »Doc Phillips?«
    »Vergiß nicht, daß er meine sogenannte ›Leiche‹ aus dem Weg geräumt hat. Er und sein ewiger Reinemacheklub. Er lief mir in Notre Dame über den Weg; versuchte nicht einmal wegzulaufen. Ich zog ihn mit den Glocken hinauf. Ich wollte ihn nur erschrecken; wollte ihn hochziehen und ordentlich durchschütteln, bis ihm, wie Groc, das Herz stehenblieb. Totschlag, nicht Mord. Doch beim Hochziehen muß er sich im Seil verstrickt haben, durchgedreht sein und sich stranguliert haben. Habe ich es getan? Bin ich schuld daran?«
    Jawohl, dachte ich. Und dann: nein.
    »J. C?« fragte ich und hielt den Atem an.
    »Nein, nein. Er stieg vor zwei Nächten auf das Kreuz, und seine Wunden schlossen sich nicht wieder. Sein Leben verließ ihn durch seine Handgelenke. Er starb am Kreuz, der Ärmste, armer alter J. C, Gott sei ihm gnädig. Ich fand ihn und schaffte ihn in eine angemessene Ruhestätte.«
    »Wo sind sie alle? Groc und Doc Phillips und J. C.?«
    »Überall und nirgends. Was macht das schon? Da draußen liegen Millionen von Leichen. Ich bin froh, daß …«, er zögerte einen Moment, »… daß du nicht eine davon bist.«
    »Ich?«
    »Aus diesem Grund habe ich schließlich doch damit aufgehört. Vor ungefähr zwölf Stunden. Mir fiel plötzlich auf, daß du auf meiner Liste standest.«
    »Was!?«
    »Ich ertappte mich dabei, daß ich mir überlegte: wenn er mir in die Quere kommt, muß er sterben. Daraufhin nahm ich von der Sache Abstand.«
    »Um Gottes willen, das möchte ich aber schwer hoffen!«
    »Ich dachte mir: Moment, er hat doch mit dieser ganzen verdammten Geschichte nichts zu tun. Er war es nicht, der die verrückten Pferdchen aufs Karussell gesetzt hat. Er ist dein Kumpel, dein Freund, dein Partner. Er ist alles, was dir vom Leben geblieben ist. Das war der Wendepunkt. Der Weg, der aus dem Wahnsinn herausführt, ist die Erkenntnis, daß du verrückt bist. Du bist am Ende der Straße angelangt, du kannst nur noch umdrehen. Ich liebte dich. Ich liebe dich. Also kam ich zurück. Ich öffnete das Grab und ließ das Monster frei.«
    Roy drehte den Kopf und schaute mich an. Sein Blick sagte: Bin ich jetzt dran? Wirst du mir etwas antun, weil ich dir weh getan habe? Sind wir immer noch Freunde? Was hat mich nur zu meinem Tun veranlaßt? Muß die Polizei informiert werden? Muß ich bestraft werden? Müssen die Wahnsinnigen dafür bezahlen? Ist nicht alles der reinste Wahnsinn? Verrückte Schauplätze, verrückte Dialoge, verrückte Schauspieler? Ist das Stück jetzt zu Ende? Oder hat es gerade erst angefangen? Sollen wir jetzt lachen oder weinen? Und: warum?
    Sein Gesicht sagte: Es wird nicht mehr lange dauern, dann geht die Sonne auf, und die beiden Städte erwachen zum Leben, eine mehr, die andere weniger. Die Toten bleiben tot, ja, aber die Lebenden werden wieder die gleichen Texte aufsagen, die sie auch gestern aufgesagt haben. Sollen wir sie reden lassen? Oder sollen wir den Text gemeinsam neu formulieren? Soll ich den Tod basteln, der schnell dahinreitet, und wenn er den Mund aufmacht, werden deine Worte für ihn bereit sein?
    Was …?
    Roy wartete.
    »Bist du wirklich wieder zu mir zurückgekommen?« fragte ich.
    Ich atmete schwer und fuhr dann fort: »Bist du jetzt

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