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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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auf der Friedhofsmauer – etwas Blaues. Ein kleines Mädchen in einem blauen Kleid. Aber als sie noch einmal genauer hinsah, war kein kleines Mädchen dort.
    Auf der Mauer stand ein Mann.
    Siri schloss die Augen und öffnete sie wieder, verwirrt. Der Mann stand immer noch da, oben auf der Mauerkrone. Er sah sie an, völlig reglos.
    Dann sprang er hinunter. Die Mauer war an die drei Meter hoch. Beinahe war es, als spürte sie den Schmerz des Aufpralls in ihren eigenen Sohlen.
    Warum hatte er auf der Mauer gestanden?
    Es wirkte wie ein Spiel, das Spiel eines Kindes: Anschleichen an eine Fremde im Dorf.
    Vielleicht war der Mann nicht ganz richtig im Kopf. Er kam jetzt über die Wiese auf Siri zu. Seine Schritte waren so lang wie sein Schatten; er war groß, sehr groß, beunruhigend groß, und sie ballte ihre Hände zu Fäusten und überprüfte ihre absolut gerade Haltung.
    Sie konnte sein Alter nicht schätzen, er war in jedem Fall älter als sie, in seinem Haar gab es erste graue Strähnen. Seine Stiefel waren ebenfalls grau – und vielleicht so alt wie er selbst. Sein Hemd war grau, das verknotete Tuch um seinen Hals war grau, seine Hose war irgendetwas, das Grau zumindest nahekam.
    Sogar seine Augen waren grau. Grau wie die Grabsteine.
    Als er vor ihr stand und auf sie hinuntersah, überragte er sie um mehrere Köpfe, er war ein Turm. Seine Gesichtszüge wirkten grob, wie abgeschliffen vom Wind: das Gesicht eines Menschen, der oft im Freien ist, aber nicht zu seinem Vergnügen. Auch dieses Gesicht machte ihr ein wenig Angst.
    Sie beschloss, keine Angst zu haben.
    Auf den Ärmeln des geblümten Regenmantels saß noch immer das Licht, und das Licht schützte sie. Der Mann sah das Licht nicht an.
    »Was machen Sie hier?«, fragte er schroff.
    »Ich … ich bin wegen der Fenster da«, sagte Siri. »Die Kirche bekommt neue Fenster. Aber das wissen Sie sicher? Morgen fange ich an. Sie wollten, dass ich die Skizzen … dass ich sie vor Ort mache. Ich muss die Leute nach den alten Fenstern fragen. Die Fotos sind schlecht.«
    » Sie? Sie wollten?«
    »Die Leute vom … Kirchenverein?«
    Er schüttelte den Kopf. »Mir hat keiner was gesagt. Aber mir sagen sie nie irgendwas über irgendwas. Denken, es geht mich nichts an. Ich hätte nur gerne gewusst, wer zwischen meinen Apfelbäumen herumläuft.«
    »Zwischen Ihren Apfelbäumen?«, fragte Siri. »Wer … sind Sie?«
    »Das Friedhofskind«, antwortete er und schnaubte, ein Laut zwischen Verachtung und Lachen, ein unangenehmer Laut. »Das ist es jedenfalls, was die Leute Ihnen erzählen werden.« Dann deutete er plötzlich eine kleine abstruse Verbeugung an, die durch seine enorme Größe noch abstruser wirkte. »Ich bin der Totengräber hier.«
    Siri ließ ihren Blick noch einmal über den kleinen Friedhof gleiten, über die winzige, uralte Kirche, die Feldsteinmauer. Vor dem Tor sah man den unbefestigten Weg draußen, und hinter der Schnauze des alten Golfs ein paar geduckte, reetgedeckte Häuser.
    »Totengräber? Es gibt nicht viele Tote zu begraben in diesem Dorf«, sagte sie. »Um ehrlich zu sein … es sieht so aus, als gäbe es nicht mal viele Lebendige.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich bin für die ganze Gegend zuständig. Kümmere mich um alles: Beete, Rasenmähen, Heckenschneiden … und eben die Gräber. Wenn sie mich auf den anderen Friedhöfen brauchen, holen sie mich.«
    »Und dies ist … Ihr Heimatfriedhof?«
    Es klang, fand Siri, als führte sie ein höfliches Gespräch mit einem Vampir.
    Er nickte knapp. »Wie lange bleiben Sie?«
    »Eine Weile. Ich habe die Ferienwohnung bei Frau Hartwig, im Keller … daneben gibt es einen Raum, der sich als Werkstatt eignet. Es sind sechs Fenster, immerhin. Nicht in der Kellerwohnung. In der Kirche. Ich muss die Skizzen machen, die Schablonen … die Gläser bestellen und zuschneiden, sie zusammenfügen … und sie am Ende einsetzen.«
    »Das machen Sie ? Nicht irgendein Handwerker?«
    Sie kniff die Augen zusammen und musterte ihn.
    »Ich bin«, sagte sie, »ein Handwerker. Es gibt weibliche Handwerker.«
    Er nickte wieder. »Beeilen Sie sich mit den Fenstern. Wenn einer hier auf dem Friedhof rumläuft, ist das mehr als genug.«
    Einen Moment lang schien er nachzudenken, dann streckte er die Hand aus, als wäre ihm eben eingefallen, dass es das ist, was Fremde tun, die es nicht vermeiden können, sich kennenzulernen.
    Seine Hand war schwielig vom Arbeiten. Siri ertappte sich dabei, wie sie nach dunklen

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