Friedo Behuetun 02 - Dunkles
hinterher.
Sie stürmten über den Hof, zwischen LKWs und Containern hindurch bis zur letzten Reihe. An einem der hintersten Container lehnte eine Leiter, Wasser sprudelte aus einem Schlauch auf den Boden. Alles war nass. Der Mann zeigte hinauf. Hintereinander stiegen sie die Leiter nach oben, auf den Container. Den hatte der Mann wohl gereinigt. Hinter dem Zaun das Tabakfeld, dorthin zeigte der Mann. Krähen flogen auf.
Auf dem Feld lag verkrümmt ein Körper.
»Karin!«, stammelte Salawi entsetzt.
Behütuns telefonierte. Und er dachte noch: Das da drüben, wo dieses Mädchen liegt, ist Nürnberg, lieber Chef!
Ein gelber Bulldozer fuhr in einer Staubwolke vorbei.
Bruce Chatwin, Traumpfade
8. Kapitel
Dafür, dass man nicht weiß, was man tun soll, gibt es eigentlich nur zwei Gründe. Der eine: Man hat nichts zu tun. Dann ist einem langweilig, das ist aber nicht weiter schädlich. Der andere: Man weiß, dass man etwas tun müsste, dass also etwas zu tun wäre, hat aber keine Ahnung, was. Man stochert also im Dunkeln. Das ist blöd. Denn egal, was man dann tut – es ist meistens das Falsche. Wenn man aber gar nichts tut, ist es auch falsch, denn man muss ja etwas tun. Irgendwie handeln.
Doch es gibt noch einen dritten Grund, aus dem es passieren kann, dass man nicht weiß, was man tun soll: den, dass es zwar viel zu tun gäbe, man aber nicht weiß, was man zuerst tun soll. So ging es jetzt Friedo Behütuns.
Kurz nachdem die Leiche entdeckt worden war, trafen, einer nach dem anderen, sämtliche Peters ein. Dick, Abend, Jaczek, in genau dieser Reihenfolge. Behütuns hatte sie herbestellt, mit ihnen telefoniert. Keine halbe Stunde später dann wimmelte das Gelände vor Menschen. Die Spurensicherung war da, drei, vier Streifen, ein paar Anwohner aus dem kleinen Steinach, Lager- und Industriearbeiter, die wahrscheinlich ihre Frühschicht im angrenzenden Nürnberger Industriegebiet Schmalau hinter sich hatten, und neugierige Kinder, die herumstanden, popelten und glotzten. Es fehlte nur noch eine Würstchenbude.
Behütuns stieß die Currywurst auf, der Geschmack noch original. Dass diese Dinger immer so lange im Magen liegen, dachte er. Und immer noch genauso schmecken, nach so langer Zeit! Kein bisschen säuerlich. Er sah auf die Uhr. Halb drei. Das muss am Curry liegen. Was ist das eigentlich?Senf, Schnittlauch, Kren, auch Pfeffer, Salz oder Paprika, Petersilie, Salbei oder Thymian, das kannte er, davon hatte er einen Begriff. Auch Ketchup konnte er sich vorstellen, Mayo oder Dill – aber Curry? Was war das eigentlich? Da stopfte man etwas in sich hinein und hatte keine Ahnung, was genau. Wo wuchs dieses Curry, was war das für eine Blüte oder Frucht? Er kramte in seinen Schubladen, in den Ordnern seines Gehirns. War da irgendwo etwas zu finden? Das kann doch nicht sein. Eine Wurst schmeckt nach Stunden doch anders, jeder Schweinebraten meldet sich anders zurück, wenn er lange genug in der Säure des Magens …
Der Nachgeschmack war nicht unangenehm und keine Spur von den Pommes dabei. War das nicht indisch, dieses Currygewürz? Nehmen die das vielleicht, damit sie nicht schmecken, was sie dort essen müssen? Einfach Curry dran und dann schmeckt’s? Und das Scharfe gegen den Rest? Denn scharf essen Inder doch auch, oder nicht?
Kommissar Behütuns stand inmitten all der Leute und dachte über Curry nach, der Geschmack lag ihm auf der Zunge. Wahrscheinlich roch er sogar danach. Das Rotkehlchen schien die vielen Menschen, die inzwischen auf dem Hof waren, kaum zu stören. Es saß auf der Dachrinne, wippte, flog auf nach einer Fliege, schlug einen Haken und kam zurück. Saß wieder auf der Rinne. Wippte. Selbst was Chili war, wusste er.
Was machen Kinder, wenn ihnen etwas zu viel wird? Wenn sie Angst haben oder sich bedroht fühlen? Vielleicht auch nur verunsichert sind? Wenn sie noch klein sind, halten sie sich Augen und Ohren zu und verkriechen sich im Rockschoß der Mutter. Wenn sie aber schon etwas älter sind, schauen sie weg. Blicken starr an dem vorbei, was ihnen bedrohlich erscheint. Sie denken sich weg, weit weg – und damit auch die Gefahr. Geschlossene-Augen-Strategie bei geöffneten Augen. Sehe ich nicht, was mich bedroht, oder sehe ich es nicht an, sieht esmich auch nicht, das scheint hier die Mechanik. Kaum anders war es jetzt bei Behütuns. Es gäbe so viel zu tun, so viel müsste er jetzt wissen. Was Jaczek erfahren hatte, was Dick, was P. A. Was es mit diesem Salawi auf sich hatte, mit dem
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