Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
wird dein Wille sich gehorsam beugen müßen in menschliche und göttliche Ordnung (und das muß allerdings das ganze Leben hindurch seyn aber als Schüler wird doch das schwerer, nicht wahr?) und die Macht der Sinnlichkeit sollst Du durch die Macht des Geistes und ein frommes Gott ergebenes Herz überwinden! Mein lieber Fritz o! dazu erbitte ich Dir Gottes Segen!» Über die Freiheit des Willens, genauer gesagt: über «Willensfreiheit und Fatum» hat Fritz für seinen Germania-Verein, bestehend aus drei Knaben, also hauptsächlich ihm, einen weiteren Aufsatz verfasst. Im Gegensatz zur christlichen Auffassung, die ihm eine devote Schicksalergebenheit propagierte, sieht er Fatum und Willensfreiheit, also den eher antiken Schicksalsbegriff in Kollision mit dem Willen des Individuums, als zwei einander gewachsene Gegner, die eine schöne Dynamik zeitigen und seiner Auffassung nach der Würde des Menschen gemäß sind. «Wir finden, dass die an ein Fatum glaubenden Völker sich durch Kraft und Willensstärke auszeichnen, dass hingegen Frauen und Männer, die nach verkehrt aufgefassten christlichen Sätzen die Dinge gehen lassen, da ‹Gott alles gut gemacht hat›, sich von den Umständen auf eine entwürdigende Art leiten lassen. Ueberhaupt sind ‹Ergebung in Gottes Willen› und ‹Demuth› oft nichts als Deckmäntel für feige Furchtsamkeit, dem Geschick mit Entschiedenheit entgegen zu treten.»
Der kleinen Welt, aus der er kam, hat er da schon mit einiger Entschiedenheit den Rücken gekehrt. Und der Denker war lange erwacht.
Bonn/Leipzig, 1864–1868
«Dem unbekannten Gotte»
W ann wäre je aus einem Gelehrten ein wirklicher Mensch geworden?» , fragte Nietzsche in seinem 1874 erschienenen Essay: «Schopenhauer als Erzieher» über den Philosophen, den er als genuinen Selbstdenker hochhielt. Und: «Ein Gelehrter kann nie ein Philosoph werden. […] Wer zwischen sich und die Dinge Begriffe, Meinungen, Vergangenheiten, Bücher treten läßt, wer also, im weitesten Sinne, zur Historie geboren ist, wird die Dinge nie zum ersten Mal sehen und nie selber ein solches erstmalig gesehenes Ding sein; beides gehört aber bei einem Philosophen ineinander, weil er die meiste Belehrung aus sich nehmen muß und weil er sich selbst als Abbild und Abbreviatur der ganzen Welt dient. Wenn einer sich vermittelst fremder Meinungen anschaut, was Wunder, wenn er auch an sich nichts sieht als – fremde Meinungen! Und so sind, leben und sehen die Gelehrten.» Das schrieb Nietzsche also zehn Jahre nach seinem Studienbeginn und seiner eigenen Laufbahn als Überflieger der Klassischen Philologie. Er studierte zunächst in Bonn und später in Leipzig. Unter anderem schrieb er sich in Bonn auch im Fach Theologie ein, doch was er da tatsächlich trieb in den lediglich zwei Bonner Studiensemestern, geht nach der Strenge im Internat Schulpforta eher aufs Konto einer neu gewonnenen akademischen Freiheit und eines vergleichsweise müßigen Lebenswandels: Vorlesungen in Kunstgeschichte und Politik, musikalisches Selbststudium, ein wenig Kirchengeschichte und das eine oder andere philologische Kolleg, bis der berüchtigte Philologenstreit der Koryphäen Ritschl und Jahn, der mit Ritschls Weggang aus Bonn endete, die Studenten in arge Bedrängnis brachte und auch Nietzsche den Eifer nahm, Ausflüge, Konzertbesuche und andere gesellschaft liche Studentenaktivitäten, nicht zu vergessen Nietzsches Mitgliedschaft in der schlagenden Verbindung «Frankonia», sonst aber in all der ungewohnten Zerstreuung eine ihn ziemlich zermürbende Ziellosigkeit. Es fehlte der Antrieb, der rote Faden. Bonn war für Nietzsche auch ein Versuch, sich in der «Welt» einzurichten, gesellig zu sein und sich auszuprobieren. Doch er war nicht er selbst hier; er spielte eine Rolle, die nicht zu ihm passte. Deussen war mitgekommen an die Universität mit den damals berühmtesten Altphilologen, neben anderen Kameraden aus Schulpforta. Da Deussens Westerwälder Heimatdorf nicht weit von Bonn entfernt war, verbrachte Nietzsche während der Ferienzeit oft einige Tage dort mit seinem Freund. Franziska Nietzsche hätte es gerne gesehen, wenn ihr Sohn sich mit dem fleißigen Theologen und Pfarrerssohn in Bonn eine Wohnung geteilt hätte. Auch sonst nahmen die Naumburger Frauen auch aus der Ferne reichlich Anteil an Friedrichs Werdegang und seinem Ergehen. Tante Rosalie hatte ihn mehr oder weniger moralisch genötigt, sich in der Fremde im Gustav-Adolf-Verein zu engagieren,
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